Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 1 (1910).djvu/155

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überreichte der Angeklagte dem Ersten Staatsanwalt eine Anzahl Aktenstücke. Aus diesem Anlaß wurde auf einige Zeit „im Interesse der Staatssicherheit“ die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Am folgenden Tage teilte der Vorsitzende mit: Er könne mit Genehmigung des Kriegsministers mitteilen: Aus den in der nichtöffentlichen Sitzung zur Verlesung gelangten Schriftstücken ging hervor, daß bei dem 57. Landwehrregiment in Wesel während einer 12tägigen Übung von 939 Löweschen Gewehren 520 reparaturbedürftig geworden seien. Bei 69 Kammern waren die Einsätze abgesprungen, 21 Schloßteile waren teils defekt geworden, teils ganz gesprungen, 45 Abzugsfedern wurden defekt. Oberstleutnant v. Gössnitz: Die erwähnten Schäden seien durchaus normale. Er sei überzeugt, daß die so schadhaft gewordenen Gewehre bei sofortiger Verwendung mindestens 80% kriegsbrauchbar seien. –

Der Vorsitzende und der Oberstaatsanwalt erhielten während der zehntägigen Verhandlung täglich anonyme Schreiben und Drohbriefe. In einem Briefe wurde gedroht, das Gerichtsgebäude mittels Dynamit in die Luft zu sprengen. Unterzeichnet war dies Schreiben: „Im Auftrage der Berliner Anarchisten. R. Rail, Linienstraße 111.“ In einem Schreiben wurde behauptet: „Der Oberstaatsanwalt, sämtliche Mitglieder des Gerichtshofes und die militärischen Sachverständigen sind von den Juden bestochen.“ Fast unaufhörlich kam es zwischen dem Vorsitzenden und dem Verteidiger, Rechtsanwalt Hertwig zu heftigen Zusammenstößen. Der Vorsitzende bemerkte schließlich: Ich kann Ihnen mitteilen, Herr Verteidiger, daß alle Mitglieder des Gerichtshofes über Ihr Vorgehen geradezu entrüstet sind. Die Mitglieder des Gerichtshofes sind sich darüber einig, daß noch niemals ein Verteidiger in einer Hauptverhandlung derartig aufgetreten ist, wie Sie in diesem Verfahren. – Als der Vorsitzende im weiteren Verlauf mitteilte, daß der Gerichtshof eine Anzahl neu eingegangener Anträge des Verteidigers