Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 1 (1910).djvu/216

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große ist und daß selbst Männer der Wissenschaft, die hohe Staatsstellungen bekleiden, zu ihnen gehören. Interessant war es, zu beobachten, mit welcher Überlegenheit, ja mit welcher mitleidigen Verachtung die als Zeugen erschienenen Spiritisten auf die „Ungläubigen“, d. h. auf diejenigen Erdenbürger, die an die spiritistischen Wunderdinge nicht glauben, herabschauten. Die Anklage war wegen 61 vollendeter und 9 versuchter Betrugsfälle erhoben. Die angeklagte Frau Anna Rothe, geborene Johl, war 1850 in Altenburg geboren. Ihr Gatte war Kesselschmied. Sie war von ziemlich großer, schlanker Figur. Ihre großen Augen hatten ein unheimliches Feuer; ihre schmalen Lippen waren zusammengekniffen, ihre Finger bewegten sich in nervöser Unruhe auf der Einfriedigung des Anklageraumes. Im übrigen bot diese Frau ein Bild der Armseligkeit. Außer den unheimlich stechenden, außergewöhnlich großen Augen war nichts Interessantes an ihr zu beobachten. Sie bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden: Vor etwa 12 Jahren sei der Bräutigam ihrer Tochter gestorben. Nachdem dieser schon lange beerdigt war, habe sie ihn in der gewohnten Weise in ihrer Wohnung auf dem Sofa sitzen sehen; sie konnte sich auch mit ihm unterhalten. Schon als Mädchen von zehn Jahren sah sie Personen, die andere nicht sehen konnten. Als sie das Aussehen dieser Personen schilderte, wurde ihr gesagt, auf welche bereits verstorbene Personen die Schilderung paßte. Sie sei infolgedessen von den Spiritisten als vorzügliches Medium erkannt worden. Sie habe auf Auffordern spiritistische Sitzungen abgehalten, diese aber niemals geschäftsmäßig betrieben. Seit etwa vier Jahren war ihr Impresario ein ehemaliger Volksschullehrer namens Jentsch. Mit diesem sei sie auf ausdrückliche Einladung in Paris, Zürich, Brüssel und vielen Orten Deutschlands gewesen und habe überall spiritistische Sitzungen abgehalten. Jentsch habe die große Korrespondenz erledigt und die Sitzungen vorbereitet. Sie habe viele Jahre in Chemnitz gewohnt. Vor einigen