Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 1 (1910).djvu/90

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1

die größte Macht der damaligen Zeit, der Papst, auf, um dieses Märchen zu widerlegen und die Juden vor Verfolgungen zu schützen.

Ich könnte Ihnen zahlreiche päpstliche Bullen vorlegen, in denen dieser Volksaberglaube mit der größten Entschiedenheit bekämpft wird. In den Jahren 1247 und 1253 hat Innozenz IV. sich mit sehr heftigen Worten gegen diesen Volksaberglauben gewendet. Ich will Sie mit dem Verlesen der Bullen nicht behelligen, es würde dies schließlich stundenlang aufhalten. Allein seit dem 13. Jahrhundert ist das Märchen nicht mehr aus der Welt verschwunden. Es ist immer wieder aufgetaucht und hat zu Judenverfolgungen Veranlassung gegeben. Wiederholt haben sich Gelehrte damit beschäftigt und Gutachten abgegeben. Sie haben von dem Sachverständigen Professor Dr. Nöldecke gehört, daß im Jahre 1714 die theologische Fakultät der Universität zu Leipzig auf Veranlassung des Landesherrn ein Gutachten dahin abgegeben hat, daß der Ritualmord in den religiösen Satzungen der Juden nicht vorgeschrieben sei, und daß keine Anhaltspunkte für diesen Volksaberglauben in der jüdischen Literatur vorhanden seien. In dem im Jahre 1883 vor dem Wiener Landgericht geführten Prozesse des bekannten Professors Rohling wider den österreichischen Abgeordneten Bloch traten Professor Dr. Nöldecke und Lizentiat Wünsche als Sachverständige auf. Beide Sachverständige gaben dasselbe Gutachten ab. Sie haben gehört, daß Herr Professor Dr. Nöldecke sagte: „Ebenso bestimmt, wie ich behaupten kann, im Talmud steht nichts von dem Eisenbahnwesen, mit derselben Bestimmtheit kann ich sagen: im Talmud steht nichts vom Ritualmord.“ Sie haben ferner gehört, daß Herr Professor Dr. Nöldecke die immer wiederkehrende Behauptung, daß den Juden der Ritualmord geboten sei, als frivol bezeichnete. Sie haben außerdem von Herrn Professor Dr. Nöldecke gehört, daß der katholische Professor Dr. Bickel an der Universität zu Innsbruck, indem er die

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/90&oldid=- (Version vom 1.8.2018)