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Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 1 (1910).djvu/89

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1

erforderlich. Allein Sie haben gesehen, m. H., daß im Hintergrunde der Zeugenaussagen der Ritualmord stand. Man konnte es dem Zeugen Mallmann nachfühlen, daß er im Herzen die Überzeugung von dem Ritualmorde hatte, und aus diesem Grunde den Buschhoff für den Täter hielt. Das angebliche Fehlen des Blutes bei der Leiche und der angebliche Schächtschnitt war die Veranlassung, daß dieser alte Volksaberglaube auftauchen konnte. Das Märchen ist so töricht, daß ich kurz darüber hinweggehen könnte, wenn ich nicht wüßte, daß es in den Köpfen der unwissenden Bevölkerung spukt und zu politischen Parteizwecken genährt wird. Wenn man uns Christen vorwerfen würde: wir brauchen das Blut Andersgläubiger und müssen daher Morde begehen, dann würde ich antworten: In unseren Grundgesetzen, in den zehn Geboten, steht: „Du sollst nicht töten“. Damit ist eigentlich die ganze Beschuldigung widerlegt.

Wir dürfen aber nicht vergessen, daß wir Christen die zehn Gebote erst seit 1900 Jahren unser eigen nennen, während die Juden die zehn Gebote seit über 3000 Jahren haben. Es kommt aber noch hinzu, daß den Juden der Blutgenuß überhaupt verboten ist. In dem auch jedem Christen zugänglichen Alten Testament ist zu lesen: „Ihr sollt kein Blut essen, wer Blut ißt, der soll ausgerottet werden aus meinem Volke, ich werde mein Antlitz von ihm abwenden“. Es ist charakteristisch, daß in China und Madagaskar von der dortigen Bevölkerung dieselbe Anschuldigung gegen die Christen erhoben wird und als Ursache der Christenverfolgung dient. Und ehe das Christentum seinen Siegeslauf antrat, noch ehe es die herrschende Religion war, da haben die Römer den Christen dasselbe Märchen angedichtet, und zahllose Christen wurden deshalb verfolgt. Der Aberglaube, daß die Juden Blut brauchen, ist bei uns im 13. Jahrhundert aufgetaucht. Damals genoß aber der unglückliche Angeklagte noch nicht den Schutz, den er heute hat. Da trat

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/89&oldid=- (Version vom 31.7.2018)