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Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 1 (1910).djvu/88

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1

den Verhandlungen gefolgt sind, gibt mir die Gewähr, daß, wenn auch die Lügen nicht verstummen werden, so doch in diesem Saale Recht und Gerechtigkeit geübt werden wird. Ich gebe mich ferner der Hoffnung hin, daß mit diesem Prozeß das alte Blutmärchen aus der Welt verschwinden wird. Wenn Sie aus diesem Saale fortgehen, dann ersuche ich Sie, das Bild eines Mannes in Ihr Herz aufzunehmen, der, obwohl seit so langer Zeit der Freiheit beraubt, seiner Familie entrissen, und durch eine wüste Hetze genötigt sein wird, das bittere Brot des Almosens zu essen, sein Geschick mit Ergebung getragen hat, weil er weiß, daß er unschuldig ist, weil er weiß, daß die Wahrheit an den Tag kommen muß, und daß in Preußen noch Recht und Gerechtigkeit geübt wird.

Ich kann meine Verteidigung um so mehr abkürzen, da die Vertreter der Anklagebehörde in diesem Prozeß das schönste Recht der Staatsanwaltschaft ausgeübt haben, das nicht bloß darin besteht, den Schuldigen zu verfolgen, sondern auch dem unschuldig Verfolgten ihren Schutz zu gewähren.

Verteidiger Rechtsanwalt Gammersbach (Köln): M. H. Geschworenen! Als die Verhandlung begann, da haben wir, die wir die Akten kannten, die Freisprechung erwartet, nachdem wir aber die Beweisaufnahme gehört, ist diese Erwartung bei uns zur Gewißheit geworden. Es ist Ihnen bekannt, daß die Bevölkerung in Xanten, höchstwahrscheinlich veranlaßt durch das Gutachten der Herren DDr. Steiner und van Housen, sofort die Behauptung aufstellte: es ist ein Ritualmord begangen worden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieses Gerücht das Haupthemmnis für eine erfolgreiche Tätigkeit bildete, die Sache zu klären. Als wir hörten, daß die Anklage erhoben worden sei, da war ich mit meinen Kollegen der Überzeugung, daß die Staatsanwaltschaft nicht den Volksaberglauben des Blutmärchens teile, sondern daß sie andere Gründe für die Erhebung der Anklage habe. Für die Staatsanwaltschaft war, davon waren wir von vornherein überzeugt, ein wissenschaftliches Gutachten über den Ritualmord nicht

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/88&oldid=- (Version vom 31.7.2018)