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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1

gönne ihnen diese Freude. Wir haben die Genugtuung, daß wir in dem Prozeß, der in der ganzen Welt das größte Aufsehen erregt, nichts versäumt haben, daß wir weder Mühe noch Zeit gescheut haben, um Aufklärung zu schaffen. Ich freue mich, daß auch die Herren Geschworenen mit der größten Aufmerksamkeit dem Gange der Verhandlung gefolgt sind. Dies gibt mir die Gewähr, daß Sie, meine Herren Geschworenen, meine bei Eröffnung der Verhandlung an Sie gerichtete Ermahnung: nur auf der Grundlage der Verhandlung nach bestem Wissen und Gewissen Ihren Wahrspruch abzugeben, befolgen werden. Sie wissen, daß die politischen und sozialen Gegensätze sich immer mehr verschärfen, daß die Bevölkerung Deutschlands zum Teil aus Judenfreunden, zum Teil aus Judengegnern besteht. Den Ausdruck „Antisemiten“ will ich nicht gebrauchen. Allein die Wogen des Parteigetriebes dürfen nicht bis an den Richtertisch heranreichen. „Der Richter steht auf einer höheren Warte als auf der Zinne der Partei“. Dieses Dichterwort[WS 1] muß in seiner Variation auch Ihnen als Richtschnur dienen. Vor dem Richterstuhle sind alle Menschen gleich. Der Richter hat nicht danach zu fragen, ob der Angeklagte ein Jude oder ein Christ ist, er soll ohne Ansehen der Person urteilen und sich von dem Parteigetriebe der Außenwelt nicht beeinflussen lassen. Sie haben eine Reihe von Zuschriften erhalten, ich bin aber überzeugt, Sie werden keinerlei fremden Einfluß auf sich einwirken lassen. Sie haben die Pflicht, sowohl der Anklage als auch dem Angeklagten gerecht zu werden, und zwar lediglich auf Grund der Ihnen vorgeführten Verhandlung. Ich hielt es für nötig, dies hervorzuheben, um damit gleichzeitig den Standpunkt des Gerichtshofes kundzugeben.

Der Vorsitzende gab im weiteren den Geschworenen die vorgeschriebene Rechtsbelehrung und bemerkte ihnen, daß der Antrag des Staatsanwalts auf Nichtschuldig sie nicht verpflichte, dem Antrage beizustimmen. Der Vorsitzende

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Aus Ferdinand Freiligraths Aus Spanien, erschienen im Morgenblatt für gebildete Leser, Stuttgart, Nr. 286 vom 30. November 1841, und später in der Sammlung Ein Glaubensbekenntniß. Zeitgedichte von Ferdinand Freiligrath (Mainz 1844).
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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1. Hermann Barsdorf, Berlin 1910, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1910).djvu/93&oldid=- (Version vom 1.8.2018)