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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

Polizei-Inspektor Bussenius[WS 1]: Der Angeklagte habe ihm am Abend des 17. Oktober 1905 seine furchtbare Tat in so ruhiger Weise geschildert, daß er sofort zu der Ansicht kam, der Angeklagte sei geistesgestört. Zum mindesten habe er sich gesagt, der junge Mensch müsse die Tat im Rausch getan haben, zumal er nach Spirituosen roch. Er (Zeuge) hatte auch sofort festgestellt, daß der Angeklagte mit seinen Opfern vor der Tat Champagner getrunken hatte. Auf seine Frage, wie er denn dazu gekommen sei, die Mädchen zu erschießen, sagte Brunke: „Sie wollten es ja haben.“ –

Sanitätsrat Dr. Roth: Die Mutter des Angeklagten sei stark nervös, ob der Vater ein Trinker war, stehe nicht fest. Der Bruder des Angeklagten sei von derselben geistigen Beschaffenheit wie er. Der Angeklagte sei nicht unbegabt, seine frühzeitige geschlechtliche Ausschweifung habe ihn jedoch geistig und körperlich geschwächt. Das Lesen von Schopenhauer und Kant habe ihn zu der Geringschätzung des Lebens geführt. Er habe während seiner ganzen Untersuchungshaft nicht eine Spur von Reue gezeigt. Dafür spreche auch der verlesene Brief, in dem er u. a. schrieb: Ich bin keineswegs eine geknickte Lilie, sondern eine trotzige Eiche. Der Angeklagte gab verschiedene Ursachen für den Selbstmord an. Der Hauptbeweggrund war wohl, daß er jede Möglichkeit ausgeschlossen sah, aus seinen literarischen Arbeiten finanzielle Einnahmen zu erhalten und damit den von ihm begangenen Kassendefekt zu decken. Der Angeklagte sei weder geisteskrank noch geistesschwach, aber infolge erblicher Belastung, Selbstüberschätzung und seines ausschweifenden Lebenswandels körperlich und geistig degeneriert. – Staatsanwalt: Wie erklären Sie die Ruhe, mit der der Angeklagte sogleich nach der Tat diese erzählt hat? – Sanitätsrat Dr. Roth: Der Angeklagte glaubte, er habe nichts Böses begangen; er ist der Meinung, er wollte nicht feige sein, er mußte das den Mädchen gegebene Versprechen einlösen. Der Angeklagte ist auch jetzt noch dieser Ansicht, er bereut auch jetzt noch nicht

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Busseniuus
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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/123&oldid=- (Version vom 1.8.2018)