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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

die Tat. Als ich gestern den Angeklagten besuchte, fragte er mich, ob, wenn er bestraft werde, er Soldat werden könnte, er habe große Lust, Soldat zu werden.

Geh. Medizinalrat Irrenhausdirektor Dr. Gerlach: Ich kann mich im großen und ganzen dem Gutachten des Herrn Sanitätsrats Dr. Roth anschließen. Der Angeklagte ist in physischer Beziehung eine normale Natur. Der Hauptbeweggrund für den Angeklagten war zweifellos, daß er keine Möglichkeit sah, den von ihm begangenen Kassendefekt zu decken. Er sagte mir: Wenn ihm noch am 17. Oktober jemand 1000 M. gegeben hätte, so daß er in der Lage gewesen wäre, den Kassendefekt zu decken, dann würde er den Mädchen etwas gepfiffen haben; er hätte sie alsdann nicht erschossen. Daß der Angeklagte seine Tat in keiner Weise bereut, sondern sogar der Meinung ist, er habe eine heroische Tat begangen, geht aus dem Umstande hervor, daß er einmal äußerte: Wenn er herauskomme, dann werde er das Zimmer, in dem er die Mädchen erschossen habe, schwarz dekorieren lassen. (Bewegung im Zuschauerraum.) Der Angeklagte erzählte mir ferner, als er sich bei mir zur Beobachtung befand: Er sei einmal in einer recht fröhlichen Gesellschaft gewesen, bei ihm sei es aber bald sehr öde und leer geworden. Er mußte sich sehr schnell aus der Gesellschaft entfernen, da er nur dann einen moralischen Halt habe, wenn ihm der ganze Ernst des Lebens in die Erscheinung trete. Es sei deshalb gut, daß er in meiner Anstalt zur Beobachtung sei. Sollte er für krank erklärt werden, dann müsse er abwarten, was aus ihm werde. Sollte er für gesund erklärt werden, dann bleibe ihm nichts weiter übrig als der Selbstmord. Der Angeklagte ist wohl geistig und körperlich degeneriert, die freie Willensbestimmung ist aber weder dauernd noch zur Zeit der Tat bei ihm ausgeschlossen gewesen. –

Staatsanwalt Reinking führte im Schlußvortrag aus: Das Drama, das uns heute beschäftigt, hat weit über die Grenzen Braunschweigs, ja Deutschlands, berechtigtes Aufsehen erregt.

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/124&oldid=- (Version vom 1.8.2018)