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Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 4 (1911).djvu/46

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

Wohnung gewesen. Die Liebetruth sei zu jener Zeit im Gefängnis gewesen. Sie hatte den Eindruck, daß ihr Bruder angetrunken war, und zwar umsomehr, da ihr Bruder ihr sagte: er sei die Nacht vorher „durchgegangen“. Ihr Bruder habe ihr gesagt: „Nun werde ich Hannchen heiraten.“ – Bereiter Gerlach: Nachdem der Rumpf der kleinen Lucie aufgefunden war, habe er mit Frau Walter, der Schwester des Angeklagten, über den Mord gesprochen. Frau Walter sagte: Meinem Bruder traue ich den Mord nicht zu. Aber selbst wenn er es gewesen wäre, dann würde ich meinen Bruder nicht verraten. – Vorsitzender: Früher lautete Ihre Aussage: Frau Walter habe gesagt: Wenn es mein Bruder gewesen wäre, dann würde ich nicht so dumm sein und meinen Bruder verraten? – Zeuge: Das ist allerdings richtig. Bei meiner ersten Vernehmung wußte ich mich noch besser zu erinnern. – Vors.: Nun, Frau Walter, ist das richtig? – Zeugin: Das ist nicht wahr, das habe ich nicht gesagt. – Vors.: Hören Sie, Frau Walter, der Zeuge hat keinerlei Interesse an diesem Prozeß und macht einen durchaus glaubwürdigen Eindruck. Ihr direktes Ableugnen könnte doch auf die Herren Geschworenen einen unangenehmen Eindruck machen? – Zeugin: Ich kann nicht anders sagen. – Unter allgemeiner Spannung wurde darauf die Mutter der kleinen Lucie, Frau Berlin, eine recht nett aussehende Frau, in tiefe Trauer gekleidet, als Zeugin in den Saal gerufen. – Vors.: Frau Berlin, Ihren tiefen Schmerz, den Sie erlitten haben, wird Ihnen jeder nachfühlen. Sie müssen sich aber zusammennehmen und ohne jede Voreingenommenheit hier Zeugnis ablegen. Die Zeugin wurde vereidigt und bekundete auf Befragen des Vorsitzenden, bisweilen unter heftigem Schluchzen: Die Lucie war ein munteres, hübsches Mädchen. Sie hatte hellblondes Haar, blaue Augen und rote Wangen. Sie war etwas wild, aber sonst herzensgut und folgsam. Sie besuchte die in der Ackerstraße belegene Mädchen-Gemeindeschule. Das Kind war Bekannten gegenüber sehr zuvorkommend,

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/46&oldid=- (Version vom 31.7.2018)