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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

Sittlichkeit. Oftmals halten die Zuhälter anständige junge Mädchen durch Drohungen und Schläge zur Straßenprostitution an, es kommt aber auch nicht selten vor, daß Prostituierte anständige junge Männer, die ihr Gefallen erregen, zu überreden wissen, die Arbeit niederzulegen, ihre Familie zu verlassen, und ihnen als Zuhälter zu dienen. Wenn nach einiger Zeit in solch unerfahrenen, leichtsinnigen Menschen das Bewußtsein dämmert, daß sie Ehre, Glück, Familie und Existenz preisgegeben und ein schimpfliches Gewerbe betreiben, dann ist es zumeist zu spät. Einem solch’ jungen Mann, der die Dirne verlassen und wieder ein anständiges Leben beginnen will, wird fast immer von der Dirne gedroht, ihn wegen Zuhälterei „alle“ werden zu lassen, d. h. ihn bei der Polizei anzuzeigen, wenn er seine Absicht ausführen sollte. Vor einigen Jahren haben hochachtbare Leute, Vater und Mutter, einer Dirne dreihundert Mark in Gold auf den Tisch gelegt mit der flehentlichen Bitte, ihren neunzehnjährigen Sohn, der der Dirne eine Zeitlang Zuhälterdienste geleistet hatte, freizugeben. Die Dirne, eine schon ältere Person, warf die Goldstücke den Leuten verächtlich vor die Füße mit den Worten: „Ick bin een anständijet Mächen, mir kann Ihr Sohn heiraten. Wenn er nich mehr mein Liebster sein will, dann laß ick ihn sofort ,alle‘ werden.“ Derartige Zustände beschränken sich keineswegs auf Berlin, sie sind in allen Großstädten zu finden. In der Hohen Straße in Köln, bekanntlich die Hauptverkehrsstraße der rheinischen Metropole, wimmelt es in den Nachtstunden geradezu von Zuhältern und Dirnen. Selbstverständlich sind die Zuhälter mehr zu verachten als die weibliche Halbwelt; die Frauenarbeit wird zumeist so gering bezahlt, daß eine große Anzahl Mädchen gezwungen ist, sich aus Not der Prostitution in die Arme zu werfen. Der eingangs erwähnte Prozeß gegen das Ehepaar Heinze wegen Ermordung des Nachtwächters Braun war die Veranlassung zu der bekannten lex Heinze. Dies Gesetz wurde vom Reichstag nicht in allen Teilen angenommen,

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)