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Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 4 (1911).djvu/70

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

sich die Presse der Sache angenommen hatte, meldete sich Lenz sofort bei der Kriminalpolizei. Sie haben Lenz hier gesehen und gehört, Sie werden mit mir zweifellos die Überzeugung haben: es liegt gegen Lenz keinerlei Verdacht vor. Auch die Beobachtungen im Humboldthain und im Schulhof haben mit der Sache nicht das Mindeste zu tun. Lediglich der Angeklagte Berger kann in Betracht kommen. Die Tat kann nur ein vollkommen sittlich verkommener Mensch begangen haben. Ein solcher Mensch ist Berger. Er ist 18 Jahre Zuhälter, er hat seit 18 Jahren nicht ehrlich gearbeitet. Er hatte die Frechheit, dem Vater der Liebetruth zu sagen: „Sie denken wohl, ich werde arbeiten; Ihre Tochter ist ja ein hübscher Backfisch, von diesem lasse ich mich ernähren.“ Berger ist ein wegen Gewalttätigkeiten wiederholt bestrafter Mensch. Seine Freunde haben uns gesagt: Wenn Berger betrunken ist, dann ist er wie ein wildgewordener Stier. Er ist am 9. Juni von der alten Frau Müller mittags 1 Uhr mit der kleinen Lucie auf dem Flur, auf dem die Liebetruthsche Wohnung liegt, gesehen worden. Nach dieser Zeit ist die kleine Lucie nicht mehr lebend gesehen worden. Nachdem die Liebetruth aus dem Gefängnis zurückgekommen war und wegen des Fehlens des Korbes Skandal machte, da versprach Berger, sofort mit ihr aufs Standesamt zu gehen und das Aufgebot zu bestellen. Die Liebetruth wollte längst, schon seit Jahren geheiratet sein, Berger sträubte sich aber hartnäckig. Noch wenige Tage vorher sagte die Liebetruth zu einer anderen Dirne: „Meiner geht lieber ein paar Jahre ins Zuchthaus, ehe er mich heiratet.“ Berger wußte, daß, wenn er die Liebetruth heiratet, dies nur eine leere Form ist. Sie wird nach wie vor ihrem schmutzigen Gewerbe nachgehen und wenn er dann wegen Kuppelei bestraft wird, er, da er der Ehemann ist, ins Zuchthaus wandern. Jetzt mußte aber dem Angeklagten daran liegen, die Liebetruth zu heiraten. Einmal sollte sie wegen des Korbes schweigen und andererseits hatte sie,

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/70&oldid=- (Version vom 31.7.2018)