Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4 | |
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Die alten Egypter stellten bekanntlich bildlich einen Richter dar als einen Mann mit verbundenen Augen und abgehackten Händen, damit er kein Ansehen der Person kenne und nicht in der Lage sei, Geschenke zu nehmen. Dieses Symbol der richterlichen Unparteilichkeit und Unbestechlichkeit gilt glücklicherweise noch heute bei allen Kulturvölkern als etwas ganz Selbstverständliches. Umso peinlicher mußte es berühren, als im Januar 1906 vor der zweiten Strafkammer des Landgerichts Beuthen, Oberschlesien, ein alter Landgerichtsrat, der lange Zeit Strafrichter und Vorsitzender einer Strafkammer war, wegen vielfachen Betruges, versuchten Betruges, Unterschlagung, Arrestbruchs und Verbrechens im Amte auf die Anklagebank geführt wurde. Es muß für die erkennenden Richter schwierig gewesen sein, jede Voreingenommenheit beiseite zu lassen und ohne Ansehen der Person zu urteilen. Denn daß der angeklagte Landgerichtsrat das Ansehen des preußischen Richterstandes aufs schwerste geschädigt hatte, lag auf der Hand. Wenn man die Person des Angeklagten beiseite ließ, dann fühlte man sich unwillkürlich in den Gerichtssaal einer Weltstadt versetzt, in dem gegen einen äußerst gewandten internationalen Hochstapler prozessiert wird. Wenn man, wie ich, fast ein Menschenalter im Gerichtssaale am Berichterstattertische tätig gewesen ist, dann fällt es schwer, den Gedanken zu fassen, daß ein Richter, der lange Jahre selbst über Recht und Unrecht entschieden hat, Dinge begangen haben soll, die an die Taten der gewiegtesten Berliner Bauernfänger erinnern, von denen schon der verstorbene Berliner Polizeidirektor
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/77&oldid=- (Version vom 21.11.2023)