Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4 | |
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zu beherzigen, der an der Wand jedes Gerichtssaales stehen sollte: „In dubio pro reo“. Ich erwarte von Ihnen, daß Sie den Angeklagten freisprechen werden.“ – Nach noch sehr langer Rede und Gegenrede zwischen Staatsanwalt und Verteidiger sagte der Angeklagte, der den Plaidoyers mit größter Ruhe und Aufmerksamkeit gefolgt war, auf Befragen des Vorsitzenden, ob er noch etwas anzuführen habe: „Meine Herren Geschworenen! Ich bin es nicht gewesen, ich bin vollständig unschuldig. Ich bin ebenso unschuldig wie Christus, als er vor den Pharisäern stand und Pilatus sagte: An diesem Manne ist keine Schuld. Gott ist mein Zeuge, daß ich unschuldig bin.“ – Nach mehrstündiger Beratung sprachen die Geschworenen den Angeklagten schuldig des Totschlags und des Sittlichkeitsverbrechens unter Versagung mildernder Umstände. Darauf verurteilte der Gerichtshof den Angeklagten zu 15 Jahren Zuchthaus, 10 Jahren Ehrverlust und Stellung unter Polizeiaufsicht.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/76&oldid=- (Version vom 31.7.2018)