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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

erschienen wäre, der sie und andere gegen den Angeklagten aufhetzte. Ich will davon absehen, daß die Liebetruth eine Prostituierte ist. Aber wenn ich die Liebetruth als bloße Zeugin betrachte, dann kann ich sie für glaubwürdig in keiner Weise halten, denn ein Zeuge ist nur dann glaubwürdig, wenn er Charakter hat. Ich will den hier vernommenen Polizeibeamten nicht zunahetreten, aber ihrem gerichtlichen Zeugnis darf man nicht allzugroßes Gewicht beilegen. Die Strafprozeßordnung verbietet, polizeiliche Protokolle zu verlesen. – Die Polizeibeamten werden daher als Zeugen vernommen. Wenn man aber erwägt, daß die Polizeibeamten Gehilfen der Staatsanwaltschaft sind, so liegt es doch nahe, daß ihr Zeugnis getrübt ist. Der Verteidiger bemängelte ferner die Sachverständigen-Gutachten. Es sei nicht ausgeschlossen, daß nach 5–6 Jahren die Uhlenhut-Wassermann-sche Methode, die jetzt soviel Aufsehen errege, sich als falsch erweisen werde. Es sei auch vom Staatsanwalt außer acht gelassen worden, daß der Angeklagte keinerlei Neigung zu kleinen Kindern gehabt habe. Endlich sei doch aber zu berücksichtigen, daß, obwohl der Angeklagte den Leichnam zerstückelt haben soll, keinerlei Blutspuren weder an seinen Kleidern noch in der Wohnung gefunden wurden. Auch sei kein Messer gefunden worden, das Blutspuren aufgewiesen habe. Der Verteidiger schloß: „Ich warne Sie, meine Herren Geschworenen, den Angeklagten deshalb zu verurteilen, weil der Schein gegen ihn spricht, weil er angeblich ein Mann ist, dem man die Tat zutrauen kann. Ihre Aufgabe ist es, lediglich zu prüfen: Ist die Tat dem Angeklagten nachgewiesen worden? Das können Sie aber nicht annehmen. Ich erinnere Sie daran, daß es sich um Tod und Leben handelt. Wenn ein Mensch hingerichtet ist, dann gibt es keine Remedur mehr. Vor Justizmorden muß man sich aber umsomehr hüten, da diese das Vertrauen in unsere Rechtsprechung erschüttern. Ich erinnere nur an den Fall Ziethen. Jedenfalls ersuche ich, den alten juristischen Grundsatz

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/75&oldid=- (Version vom 1.8.2018)