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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5

sollte nicht in Vergessenheit geraten, sondern gelehrten und Volksrichtern eine ernste Mahnung sein, Zeugenaussagen aufs genaueste zu prüfen und einen Angeklagten nicht zu verurteilen, wenn bloß der Schein für seine Schuld spricht. Aber auch die medizinischen Sachverständigen sollten mit der größten Sorgfalt verfahren. „Allah weiß es besser“ fügt gewöhnlich der mohammedanische Richter seinen Urteilsbegründungen hinzu. Auch Richter sollten nicht vergessen, daß alles Menschenwerk unvollkommen ist und deshalb stets den Grund beherzigen: In dubio pro reo. (Im zweifelhaften Falle zugunsten des Angeklagten.) Lieber hundert Schuldige freisprechen, als einen Unschuldigen verurteilen. Alle Beweise sind kein Beweis. Im achtzehnten Jahrhundert soll man einen Mann bei einem Ermordeten mit blutbespritzten Kleidern und einem blutigen Messer in der Hand betroffen haben. Dieser Mann wurde selbstverständlich zum Tode verurteilt und hingerichtet. Viele Jahre später hatte ein Mann auf dem Sterbebett gestanden, daß er den Mord begangen habe. Der Hingerichtete war vollständig unschuldig; er war kurze Zeit nach der Tat, nachdem der Mörder schon in Sicherheit war, an die Stätte des Verbrechens gekommen und dort in der geschilderten Weise überrascht worden. In einer kleinen Stadt Oberschlesiens ersuchte vor vielen Jahren ein Holzhauer, der sein Handwerkszeug, eine Holzaxt, auf der Schulter trug, einen bemittelten Viehhändler, der eine sogenannte „Geldkatze“‚ d. h. einen ledernen Geldbeutel um den Leib geschnallt trug, ihm ein Darlehn zu geben. Der Viehhändler lehnte das ab. „Du wirst meiner gedenken“, rief der Holzhauer so laut, daß es von Leuten, die in der Nähe waren, gehört werden konnte. Nach etwa vierzehn Tagen wurde der Viehhändler erschlagen im Walde aufgefunden. Sein gefüllter Geldbeutel war geraubt. Etwa zehn Schritt von der Leiche lag eine mit Blut besudelte Axt. Es wurde festgestellt, daß es die Axt des Holzhauers war, dem der Ermordete die Bitte um

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_5_(1912).djvu/176&oldid=- (Version vom 1.8.2018)