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Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 5 (1912).djvu/80

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5

Dr. Ries nicht die Rede sein kann. Die Versetzung des Dr. Ries erwies sich als unbedingte Notwendigkeit. Am hiesigen Gymnasium mußte eine Oberlehrerstelle eingezogen werden, weil die Schülerzahl sich verringert hatte. In Jever wurde ein Oberlehrer verlangt, der Altphilologe war und gleichzeitig facultas docendi für Französisch hatte. Es wurde bei den verschiedensten Gymnasien des Landes umhergefragt, es fand sich aber außer Dr. Ries niemand, der diese Eigenschaften in sich vereinigte. Der Angeklagte Dr. Ries hat außerdem Herrn Landrichter Haake ohne jeden Grund, obwohl er ihn nur ganz oberflächlich kannte und nicht die geringste Unterlage hatte, Streberei und Heuchelei vorgeworfen. Der Angeklagte Biermann hat diese Artikel mit Behagen in seinem Blatte abgedruckt, obwohl er den Verfasser nicht kannte, also nicht in der Lage war, die Wahrheit der Artikel irgendwie zu prüfen. Darauf kam es aber dem Angeklagten Biermann gar nicht an. Ihm war darum zu tun, Skandalartikel in seinem Blatte zu bringen, nur um da- mit ein Geschäft zu machen. Biermann ist daher gleich dem Verfasser zu bestrafen. Bei der Strafzumessung kommt bei Dr. Ries strafmildernd in Betracht, daß er bisher unbestraft ist, daß er jetzt Reue zu empfinden scheint. Bei Biermann kommt strafmildernd in Betracht, daß er vielleicht zum Teil den Inhalt der Artikel für wahr hielt. Strafschärfend kommt bei Dr. Ries in Betracht die Schwere der Beleidigungen, der Umstand, daß sie aus dem Hinterhalt geschehen sind, daß sie sich richteten gegen einen der höchsten Beamten des Landes, der ganz besonders geschützt werden muß und gegen den obersten Vorgesetzten des Dr. Ries. Es kommt strafschärfend der Bildungsgrad und die amtliche und gesellschaftliche Stellung des Dr. Ries in Betracht. Bei Biermann kommt strafverschärfend in Betracht, daß er, wie bereits erwähnt, Ehrabschneiderei gewerbsmäßig betreibt, daß die ganze Tendenz seines Blattes darauf ausgeht, die Skandalsucht zu fördern, und daß er fortgesetzt in systematischer

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_5_(1912).djvu/80&oldid=- (Version vom 22.5.2024)