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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

oder habe sich einer Ableugnung wider besseres Wissen schuldig gemacht, strafbar sei, bedürfe keiner weiteren Ausführung. Die Stellung der Strafanträge werde ihm (Oberstaatsanwalt) nicht leicht, denn auch er sei ein Gegner des § 95. Aber da dieser Paragraph nun einmal bestehe, habe die Staatsanwaltschaft auch die Pflicht, ihn vorkommendenfalls anzuwenden. Er erinnere dabei an den Franzosen, der bei der Debatte über die Abschaffung der Todesstrafe sagte: Wenn nur die Herren Mörder anfangen würden, ihrerseits mit der Todesstrafe aufzuhören. So würde der Majestätsbeleidigungs-Paragraph zu entbehren sein, wenn die Herren Journalisten mit Majestätsbeleidigungen aufhörten. Er sei überzeugt, daß das Gericht das Urteil mit der Ruhe und Sorgsamkeit, die man bei preußischen Richtern gewohnt sei, fällen werde. Er beantrage gegen Leid, der in schwerer ökonomischer Abhängigkeit von seinen Brotgebern sich befinde und nicht wesentlich vorbestraft sei, neun Monate Gefängnis und, da Leid Stadtverordneter sei, auch den Verlust der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte, gegen Kaliski vier Monate Gefängnis, außerdem die Publikation des Urteils im „Vorwärts“, in der „Breslauer Volkswacht“, der „Frankfurter Volksstimme“, im „Volksblatt für Halle“, im „Volkswille“ zu Hannover, im Hamburger „Echo“, in der „Rheinischen Zeitung“ zu Köln, der Magdeburger „Volksstimme“, der „Kreuzzeitung“, dem „Berliner Tageblatt“ und dem „Berl. Lokal-Anzeiger“. – Der Verteidiger, R.-A. Dr. Karl Liebknecht suchte in längerer Rede den Nachweis zu führen, daß das Kaiserinselprojekt von der Redaktion des „Vorwärts“ nicht erdichtet worden sei, sondern alle Umstände dafür sprächen, daß der Redaktion ein Schriftstück vorgelegen habe, das sich zum wenigsten äußerlich als ein amtliches charakterisiert habe. Von einer Majestätsbeleidigung könne keine Rede sein. Der Artikel wende sich in erster Linie gegen die sogenannte Scharfmacherclique, die bei dem Kaiser die Ansicht zu verbreiten

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/102&oldid=- (Version vom 1.8.2018)