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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

sofort die Untersuchung, die in einer, den modernen Anschauungen direkt widerstrebenden Ermittelungsform geführt wurde. Es war ein Verbrechen, den Kindern derartige Abscheulichkeiten vorzuhalten. Auch bei dieser Untersuchung erzielte der Angeklagte mit seinen Mitteln Erfolg. Als darauf das Kind widerrufen wollte, wandte er wieder ein Mittel an, das jeden Polizeibeamten unbedingt ins Zuchthaus bringen würde. Ferner spricht für die Wahrheit der Kinderaussagen besonders der dauernde Widerspruch gegen ihren Seelsorger. Es mangelt aber auch jede tatsächliche Unterlage für die Beschuldigungen. Nach meinem Eindruck von Frau Schmidt und den Kindern glaube ich nicht, daß dort im Hause solche Dinge vorgehen konnten. Ferner ist es auffallend, daß den Kindern unbedingte Verzeihung versprochen und Schweigen gegen die Eltern sogar auferlegt wurde. Das ist ein merkwürdiges Verfahren, nachdem vorher ganz in der Natur des Menschen begründete Dinge so aufgebauscht worden waren! Darauf wurde der Dank für diese Milde in Küssen usw. gefordert. Was die Mißhandlung des Werner betrifft, so ist Mißhandlung kein kirchliches Disziplinarmittel. Auch hatte der Angeklagte kein Züchtigungsrecht. Überhaupt war die Züchtigung nicht als Strafe für ein begangenes Unrecht, sondern als Zwang zur Erpressung eines Geständnisses bestimmt. Das Mittel der Gewalt ist nie erlaubt, auch wenn der Zweck noch so zulässig ist. Nicht minder rechtswidrig, nach § 223, ist die Mißhandlung der Zimmermann. Der Angeklagte ist als Religionslehrer staatlicher Beamter. In Ausübung dieses Amtes hat der Angeklagte gehandelt. Daher hatte der Angeklagte ein gewisses Züchtigungsrecht der Zimmermann gegenüber. Allein er hat sie mißhandelt, zumal er die durch das Geschlecht der Schülerin gebotenen Rücksichten außer acht ließ. Ferner ist zu bemerken, daß solche schlüpfrigen Dinge nie allein ohne Zeugen zu verhandeln sind. Der Angeklagte ist bisher unbescholten, sein Stand legt ihm Pflichten auf,

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/138&oldid=- (Version vom 31.7.2018)