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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

der Zimmermann. Ich bestreite, daß dem Angeklagten die Beamtenqualität zukommt. Er bezieht keine Vergütung für Erteilung des Religionsunterrichtes, auch untersteht er nicht der Schuldisziplin. Der Angeklagte hat als Pfarrer gehandelt. Somit bleibt nur die Körperverletzung übrig. Allein der Angeklagte hatte das Züchtigungsrecht im Falle Zimmermann nicht überschritten, da er sie wegen des Lügens bestrafen wollte. Der Angeklagte hat im besten Glauben bei seiner Untersuchung gehandelt. Es muß also Freisprechung in diesem Falle erfolgen. Ich komme zur Mißhandlung des Werner. Betreffs der „Fragen in suggestiver Form“ ist zu sagen, daß bei Vernehmung von Kindern immer die Fragen auf die Zunge gelegt werden müssen. Suggestive Fragen setzen aber Kenntnis des Gegenstandes voraus; dies ist bei vielen Fragen des Angeklagten nicht zutreffend. Ferner: wenn Werner auf die Frage: „Wie habt ihr denn das genannt?“ geantwortet hat: „Vatterches und Mutterches“, so ist damit bewiesen, daß die Untersuchung nicht suggestiv geführt wurde. Nun hat der Angeklagte gewiß bei seinem Verhör nicht wie ein Jurist gehandelt; aber selbst ein Jurist hätte auf obige Antwort angenommen, er habe es mit einem Geständnis zu tun. Betreff der Ohrfeigen ist zu sagen, es ist nicht erwiesen, daß sie den Zweck hatten, einen Zwang auszuüben. Der Angeklagte behauptet, er habe Werner nur wegen der Lügen geohrfeigt, was letzterer nicht bestritten hat. Demnach liegt keine Körperverletzung vor, auch Bedrohung und Anwendung von Gewalt fällt damit fort. Auch behauptet der Angeklagte, er war überzeugt, im Einverständnis mit den Eltern zu handeln. Diese Behauptung ist ebenfalls nicht widerlegt worden. Selbst wenn Propst Malzi darüber sich im Irrtum befunden hätte, so könnte auch wegen dieses tatsächlichen Irrtums keine Bestrafung eintreten. Selbst wenn Werner mehr als zwei Ohrfeigen bekommen hat, ist das Züchtigungsrecht nicht überschritten worden. Ferner ist Werner durchaus unglaubwürdig.

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/141&oldid=- (Version vom 31.7.2018)