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Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 6 (1912).djvu/142

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

Die Art seiner Bekanntschaft mit der Schmidt hat er hier unwahr geschildert. Nicht aus falscher Scham leugnet er die Kenntnis der geschlechtlichen Dinge, sondern aus Lügenhaftigkeit. Auch seine Erziehung war nicht gut. Der größte Beweis seiner Unglaubwürdigkeit ist sein Verhalten nach der angeblichen Mißhandlung; er hat geschwiegen. Auch seine Unterschrift ist nicht die eines Gezwungenen. Seine erste Aussage ist also richtig, daß der Propst keinen Zwang ausgeübt hat. Auch zeigte Werner seine Gesinnung in den unehrerbietigen Äußerungen gegen den Propst. Auf das Zeugnis eines solchen Menschen ist ein unbescholtener Mann nicht zu verurteilen. Wenn ich die Vorfälle vom 18. Januar erörtere, so betone ich, daß der Propst guten Glaubens an die Untersuchung herangetreten ist. Dies wird auch durch die Aussage des Fräulein Muth bestätigt. Ich will die Aussagen der Mädchen als wahr gelten lassen und dann zeigen, daß auf Grund dieser Aussagen keine Verurteilung möglich ist. – Meine Herren! Die absichtliche Erregung des Geschlechtstriebes ist nicht ausreichend, sondern die unzüchtige Handlung muß durch körperliche Berührung zum Ausdruck kommen. Im vorliegenden Falle ist nicht das geringste erwiesen. Keines der Mädchen ist im geringsten körperlich berührt worden, keine Entblößung hat stattgefunden, das Berühren am Kleid entbehrt der Beziehung zum Geschlechtlichen und enthält keine gröbliche Verletzung. Ferner ist die Aufforderung: mit dem Propst dasselbe wie mit dem Werner zu machen, objektiv betrachtet, ohne Beziehung des Geschlechtlichen. Also, eine objektiv unzüchtige Handlung liegt nicht vor. Subjektiv wird wollüstige Absicht verlangt. Ich lege kein Gewicht darauf, ob der Propst früher das Mädchen geküßt hat. Ich und auch der Propst erklären, daß dieser Vorfall verwerflich und ungerechtfertigt war. Also: alle äußeren Umstände sprechen gegen eine Absicht des Angeklagten. – Meine Herren! Im Zweifel muß die für den Angeklagten günstige

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/142&oldid=- (Version vom 31.7.2018)