Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6 | |
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Meinung gewählt werden. Ferner sind viele Aussagen der Mädchen unglaubhaft, besonders die, welche auf eine wolllüstige Absicht hinzielen. Die Art, wie die Zimmermann das Legen auf das Sofa erzählt, ist physisch unmöglich, auch ihren Schrei hat niemand gehört. Ebenso ist die Erzählung von der goldenen Uhrkette eine Erfindung, also gerade ein Beispiel der Phantasiegebilde. Die Kette existiert nur in der Einbildung der Zimmermann. Meine Herren! Für mich ist die Annahme ausgeschlossen, daß die Kinder zur Unterzeichnung des Schriftstückes gezwungen wurden. Ferner sind die Schmidt und Zimmermann auch nicht so einwandfreien Charakters. Kinder in solchem Alter sind am gefährlichsten als Zeugen. Ferner bin ich der Meinung, daß der Angeklagte vielleicht gesagt hat: „Nun zeigt mir, was ihr mit Werner gemacht habt.“ In der Wut, in der der Propst war, ist es begründet, daß er das vergessen hat. Meine Herren! Wenn meine Ausführungen richtig sind, so ist eine Verurteilung unmöglich, zum mindesten fällt das subjektive Moment fort, der Angeklagte kann also höchstens wegen Beleidigung verurteilt werden. Der Verteidiger schloß mit dem Antrage, den Angeklagten freizusprechen. – Oberstaatsanwalt: Das subjektive Moment liegt in den Worten des Propstes: „Bei dem Werner war es keine Sünde?“ Neigung zum romantischen Übertreiben ist im Pubertätsalter vorhanden, aber hier war davon nichts zu merken. Hier sind einfache Tatsachen, deren kriminelle Tragweite den meisten Leuten unbekannt ist. Auch wäre ohne reale Grundlage ein so stetiges Festhalten bei der Aussage ganz unmöglich. Der Angeklagte ist als Beamter anzusehen, da der Religionsunterricht unter Aufsicht der Staatsbehörde geschieht. Meine Herren! Der katholische Geistliche hat ebensowenig Züchtigungsrecht wie der evangelische. Daß der Vater des Werner dem Propst das Züchtigungsrecht erteilt hat, ist nicht richtig, denn der Propst hat den Knaben vor der Zusammenkunft mit dem Vater gezüchtigt. Meine
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/143&oldid=- (Version vom 31.7.2018)