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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

scharfes Auge auf diese Leute. Das große Publikum ahnt aber zumeist nicht, daß die gefährlichen Verbrecher in elegantester Kleidung, mit durchaus weltstädtischen Manieren sich in den Hauptstraßen bewegen und Stammgäste der feinsten im Herzen Berlins belegenen Lokale sind. In der Straße Unter den Linden, und zwar an der Südseite, in allernächster Nähe des russischen Botschaftspalais, existierte viele Jahre das Café Westminster, ein hochelegantes Café, mit allem Komfort der Neuzeit ausgestattet. In diesem Café bestand die große Mehrzahl der ständigen Besucher aus notorischen Verbrechern gefährlichster Art. In Kreisen der Kundigen wurde dies Café das Verbrecher Café genannt. Man konnte dort Ringnepper, Pfandscheinschieber, Juwelenschieber, Einbrecher, Falschspieler, Taschendiebe, elegante Zuhälter ganz besonders nachmittags zur Kaffeezeit, aber auch in den Abend- und Nachtstunden in großer Zahl antreffen. Selbstverständlich fehlte auch die zu diesen Leuten gehörende „Damenwelt“ nicht. Diese Menschen, die aller ehrlichen Arbeit grundsätzlich aus dem Wege gehen, aber trotzdem ein zumeist geradezu schwelgerisches Leben führen, kennen sich vielfach untereinander und wissen womöglich auch die „Leistungsfähigkeit“ der einzelnen zu beurteilen. Der Unkundige, der ein solches Café besucht, hat jedoch gewöhnlich keine Ahnung, in welche Gesellschaft er geraten ist. Das Café Westminster ist seit einiger Zeit in ein solides Restaurant umgewandelt worden, es gibt aber in Berlin noch eine unendlich große Zahl anderer eleganter Cafés, in denen die feine Verbrecherwelt verkehrt. Auch zu Lebzeiten des Café Westminster gab es zahlreiche andere Cafés, in denen die Verbrecherwelt anzutreffen war. Diese Menschen beschränken ihre Tätigkeit keineswegs auf Berlin; die hauptstädtischen Gefilde sind dieser Art von Verbrechern bei weitem nicht ergiebig genug. Die Stammgäste der Berliner Verbrecherkaste sind oftmals plötzlich auf einige Zeit spurlos verschwunden. Wenn sie wieder in feinster Toilette

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/6&oldid=- (Version vom 24.11.2022)