Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7 | |
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erhoben worden, wenn irgendwo um die Osterzeit ein Kind verschwand oder ermordet gefunden wurde. Mehrere solcher angeblich von Juden geschlachteter Christenkinder wurden heilig gesprochen, wie der heilige Simon von Trient (1475) und der heilige Werner, dem am Rhein mehrere Kapellen gewidmet wurden. Eine große Judenverfolgung war und ist noch heute die unausbleibliche Folge dieser törichten Beschuldigung, die um so unsinniger ist, da den Juden von Moses sogar der Genuß von Tierblut aufs strengste untersagt ist. Einen neuen Charakter gewann der Blutaberglaube, als nach Anerkennung der Transsubstantiationslehre wiederholt blutige Flecke auf Hostien als wunderbare Bestätigung der neuen Lehre betrachtet worden waren. Das schon im Altertum häufig beobachtete Auftreten blutiger Flecke sowohl auf Hostien als an Gebäck und Speisen mag die erste Veranlassung zu dieser Art von Blutbeschuldigung gegeben haben. Es traten von dieser Zeit ab häufige Beschuldigungen auf, die Juden hätten sich durch Bestechung der Kirchendiener geweihte Hostien zu verschaffen gewußt, um zu sehen, was an dem christlichen Dogma Wahres sei und hätten so lange mit Nadeln oder Pfriemen hineingestochen, bis reichlich Blut geflossen sei. Die verdächtigen Juden wurden eingekerkert, durch Anwendung der Folter zu Geständnissen gebracht und alsdann hingerichtet. Eine große blutige Judenverfolgung bildete gewöhnlich das Nachspiel solcher Prozesse. Im Jahre 1570 wurden allein in Berlin 34 Juden wegen blutender Hostien hingerichtet. Vergeblich erhoben selbst Päpste, wie Benedikt XII. und Ganganelli, ja selbst jüdische Renegaten wie Pfefferkorn gegen diese wahnwitzige Beschuldigungen ihre Stimme. Immer und immer wieder mußte das ganze Mittelalter hindurch das Blutmärchen den Anlaß zu den ärgsten Judenverfolgungen geben. Ende des achtzehnten Jahrhunderts soll zu Frankfurt a. d. O. eine Anzahl Juden wegen Schlachtens eines Christenkindes angeklagt gewesen sein und auch,
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_7_(1912).djvu/70&oldid=- (Version vom 28.3.2023)