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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8
Fürst Bismarck gegen den Universitätsprofessor Dr. Theodor Mommsen

gewöhnt wäre, daß Klagen wegen Bismarckbeleidigungen, die selbst gegenüber Abgeordneten anhängig gemacht werden, an der Tagesordnung sind. Man dürfte fragen: wie ist es möglich, daß eine Nation, die ihrem ersten Staatsmanne so unendlichen Dank schuldig ist, so oft mit ihm in Konflikt gerät, daß in dieser Nation so viele Personen sich finden, welche anscheinend danach streben, den Fürsten Bismarck zu beleidigen und daß alle Verurteilungen zu Gefängnis- und Geldstrafen sich so machtlos erwiesen haben, daß sich die Bismarckbeleidigungsanklagen noch immer mehren. Die einzige Lösung dieser Frage ist nur darin zu finden, daß der Streit wirklich im öffentlichen Rechte waltet und nur fälschlich verlegt wird auf das Gebiet des Privatrechts. Entschließt man sich aber aus einem so hochwichtigen Streit einen kleinen Privatstreit auszusondern, so könnte man sich allenfalls dies gefallen lassen, wenn der Gegner dem Gegner von Angesicht zu Angesicht gegenübertritt. Wie steht es aber in dieser Beziehung mit dem Fürsten Bismarck? Fürst Bismarck begnügt sich einfach, einen gedruckten Strafantrag zu unterschreiben. Die Staatsanwaltschaft, unterstellt der Landesjustizverwaltung, ist gar nicht in der Lage, zu prüfen, ob wirklich eine Beleidigung vorliegt. Deshalb versagt das Ventil, welches gegen eine Anklageüberhäufung vorhanden ist, gerade in dem Augenblick, wenn es gegenüber dem höchsten Beamten gehandhabt werden soll. Andererseits, welcher Rechtsschutz steht demjenigen zu, der vom Fürsten Bismarck beleidigt wird. Als jemand es unternahm, den Fürsten Bismarck wegen Beleidigung in die gerichtliche Arena zu zitieren, da entpuppte er sich als Militär, der in dieser Arena Niemandem Rechenschaft schuldig ist. Ist der Kampf in Terrain und Waffen so grundverschieden, so wird man überhaupt mit gemischten Gefühlen diesen Anklagen wegen Bismarckbeleidigung nähertreten. Der Kampfrichter wird besonders vorsichtig sein müssen, wenn es sich um jemand handelt, der in jenem Kampfe der minder gut Situierte ist.

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8. Hermann Barsdorf, Berlin 1913, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_8_(1913).djvu/36&oldid=- (Version vom 1.8.2018)