Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 9 | |
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Er lief, mit einer scharfen Schere bewaffnet, hurtig durch die Straßen Berlins, und sobald sich ihm Gelegenheit bot, schnitt er auf offener Straße blonden Damen die Zöpfe ab. In seiner Behausung soll ein ganzes Arsenal schöner blonder Zöpfe gefunden worden sein, die er sämtlich fein säuberlich mit rotseidenen Bändchen gebunden hatte. Als er eines Tages in Berlin in der Leipzigerstraße einem jungen Mädchen, Tochter eines Hauptmanns der Armee, einen Zopf abschnitt, wurde er von dem Hauptmann gefaßt und der Polizei übergeben. Er wurde deshalb wegen Diebstahls, körperlicher Mißhandlung und tätlicher Beleidigung angeklagt. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Gerichtsassessor Dr. Förster. Die Anklage vertrat Staatsanwalt Dr. Rhode, die Verteidigung führte Justizrat Dr. Richard Wolff. Als medizinische Sachverständige waren geladen die Gerichtsärzte Geh. Medizinalrat Dr. Leppmann, Medizinalrat Dr. Hoffmann und Dr. med. Magnus Hirschfeld. – Auf Antrag des Staatsanwalts[WS 1] wurde wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen, den Vertretern der Presse aber der Zutritt gestattet. – Der Angeklagte äußerte auf Befragen des Vorsitzenden: Er sei 1888 nach Deutschland gekommen und habe in Thorn, Bergedorf und Hamburg das Gymnasium besucht. In Hamburg habe er das Abiturientenexamen gemacht und ein sehr gutes Abgangszeugnis erhalten. Er habe stets hervorragende Begabung für Mathematik gezeigt; er habe ein Semester in München studiert und stehe jetzt im sechsten Semester. Er studiere Schiffsbautechnik und habe sehr fleißig gearbeitet. Er gebe zu, in 16 Fällen in den Straßen Berlins Mädchen die Zöpfe abgeschnitten zu haben. In seiner Wohnung seien 31 Zöpfe gefunden worden. – Vors.: Haben Sie schon in früheren Jahren solche Neigungen gehabt? – Angekl.: Einmal, im Alter von 16 Jahren, habe ich abends meiner dreizehnjährigen Schwester heimlich Haare abgeschnitten und sie behalten. Die Neigung für schönes langes Haar habe ich immer gehabt, schließlich ist
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Staatsanwalt
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 9. Hermann Barsdorf, Berlin 1913, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_9_(1913).djvu/290&oldid=- (Version vom 31.7.2018)