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 2. kann man es daraus beweisen, daß der Gotteswille, daß das sittliche Gute nur eines ist, und weil eines, für alle Menschen gültig. Das liegt in der Natur des Gesetzes. Doch müssen wir darauf achten, daß nicht alles im Alten Testament universal ist. Das Gesetz gilt allen Menschen, insofern es auf das wesentliche sittliche Verhalten abzweckt;

 3. kann man es daraus beweisen, daß das, was Christus von seinen Jüngern fordert, identisch ist mit dem, was das Gesetz fordert; cf. Bergpredigt; Matth. 22, 34–40; Röm. 13, 9. 10; 1. Joh. 4, 20–21.

 4. Die Bedeutung des Gesetzes für die ganze Menschheit ist schon daraus einleuchtend, daß bei jedem, der zu Christo kommt, im Kleinen sich der große historische Gang der Welt und des Volkes Israel wiederholt (auch der Kirche; cf. Reformation). Von einem Stand relativer Unschuld kommt der Mensch in einen Stand, wo er des Zwiespaltes mit Gott inne wird; es folgt der Stand unter dem Gesetz, welches zunächst nur als Joch ihm aufliegt, weiter aber als Spiegel seiner selbst ihm dient, und vorbereitend ihn hinüberleitet in den Stand der Gnade, worauf das Gesetz aufhört, äußere, zwingende Norm zu sein, nicht aber Regel und Richtschnur eines Gott wohlgefälligen Verhaltens in dem sittlich Wiedergeborenen.

 Im Gesetz gibt sich Gott kund als der Gesetzgeber, der das Recht hat, seinen Willen allen Menschen aufzulegen; er gibt sich aber auch kund als der Richter, der jeden Menschen nach seinem sittlichen Verhalten genau und vollkommen beurteilen kann und als der Vergelter, der auch den Willen und die Macht hat, je nachdem der Mensch handelt, ihn zu bestrafen und zu belohnen. Was in den Funktionen des Gewissens innerlich vorgeht, erscheint hier als handgreifliche äußerliche Thatsache mit einer überwältigenden Klarheit.


§ 32.
Die vorübergehende und die bleibende Bestimmung des mosaischen Gesetzes und der entsprechende Inhalt desselben.

 Das neue Testament selber redet manchmal vom Gesetze als von etwas Ueberlebtem und Ausgehobenem; andernteils aber heißt es: „Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ Es heißt einmal: „für den Gerechten ist kein Gesetz gegeben,“ und dann heißt es wieder: „Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung.“ Es gilt hier, richtig zu unterscheiden, inwiefern das Gesetz aufgehoben ist und inwiefern