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Albrecht von Haller: Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit aus: Der physikalische und oekonomische Patriot Oder Bemerkungen und Nachrichten aus der Naturhistorie, der allgemeinen Haushaltungskunst und der Handlungswissenschaft, 3 Teil, 3 Quartal, S. 296–309


Tinget pavimentum superbum
Pontificum potiore coenis.[1]

Oft streitet noch in ihm die Liebe zum Leben mit dem Durste nach Weine, und er bleibt unentschlossen, ob er sich mehr über den Verlust des einen oder des andern betrüben soll. In dieser Unruhe, in diesem Schmachten verzehren sich die Lebenskräfte nach und nach, und man bemerkt oft bey den Sterbenden selbst noch die Spuren des grossen Verlangens, zu trinken. So stark kann sich eine Leidenschaft unsrer Herzen bemeistern, wenn wir nicht die Klugheit besitzen, sie in ihrer Geburt zu ersticken, und ihrem ungestümen Ausbruche hinlängliche Dämme entgegen zu setzen. Wie mancher würde, vermöge seiner guten Leibesbeschaffenheit, vermöge seiner starken Natur, und vermittelst einer ordentlichen Lebensart, wobey es ihm an keinen vernünftigen Vergnügungen hätte fehlen dürfen, sein ruhiges, gesundes und angenehmes Leben zum höchsten Gipfel des menschlichen Alters haben bringen, und es durch einen sanften Tod ohne Reue und Elend haben beschließen können, der es, um seiner unbeschränkten Neigung willen zum Trunke, in Jammer und Noth und in der Blüte des Alters beschließen muß.

Ich kann bey dieser Gelegenheit nicht umhin, eine Anmerkung zu machen, die sich für unsre Zeiten schickt, da sich unsre scharfsinnigsten Dichter um die Wette bemühen, die Liebe und den Wein, diese beyden großen Stifter so vieles menschlichen Elendes, in den besten Liedern zu erheben, und selbst die Ausschweifungen in diesen beyden Leidenschaften ihren Lesern aufs schönste anzupreisen. Ich müsse wenig Vernunft und Geschmack besitzen, wenn ich die Dichter deßhalben tadeln wollte. Das einzige, was man ihnen dabey zur Last legen könnte, wäre dieses, daß sie ihre Leser für klüger halten, als sie sind; welches der Herr von Hagedorn nicht that, der sich vielmehr die Mühe gab, sie in seinem Gedichte an die heutigen Enkratiten zurecht zu weisen, und ihnen zu sagen, daß es mit den Lockungen der Dichter so strenge nicht gemeynt sey:

Zu altdeutsch trinken, taumelnd küssen,
Ist höchstens nur der der Wenden Lust.
Wie Kluge zu genießen wissen,
Das bleibt dem Pöbel unbewußt;
Dem Pöbel, der in Gift verkehret,
Was andern Leuten Wollust bringt,
Und der die Gläser wirklich leeret,
Wovon der Dichter doch nur singt.[2]

Ich wünschte, um aller Leser willen, die den Zweck der Dichtkunst nicht verstehen, daß diese Zeilen auf den Titeln aller Oden und Lieder auf den Wein mit Schwabacher Schrift gedruckt stünden: denn es ist so viel gewiß, daß diese Lieder wenigstens die Leichtsinnigkeit solcher Leser sehr vermehren, die ohnedem zum Trunke geneigt sind, und die gewöhnliche Dürftigkeit und Enthaltsamkeit der Dichter nicht kennen. Man wird mir dieses leicht glauben, wenn ich es durch eine unleugbare Erfahrung von einem solchen Mißverstande beweisen kann. Diese Erfahrung ist folgende.

Es giebt überall mitten in unsern aufgeklärten Zeiten gutherzige Leute, welche die Lieder auf die Liebe und den Wein für sündlich und für den sichersten Beweis der großen Verderbniß unsrer Zeiten und Sitten halten. Man würde sich sehr irren, wenn man glauben wollte, daß dieses nur einfältige und nichts bedeutende Leute wären. Nein, man findet diese Urtheile oft in dem Munde eines sehr großen Mannes, der alles besitzt, was einen Geist groß machen kann, außer dem Geschmacke. Nun ist es aber gewiß und ausgemacht, daß allenfalls der eifrigste

  1. Oden des Horaz. Übersetzt von Friedrich Ludwig von Solms-Wildenfels. 2. Buch. Ode XIV. S. 91. 1757 Google
  2. Friedrich von Hagedorn: An die heutigen Enacriten. Sämmtliche poetische Werke. Band 1. 1775 Google
Empfohlene Zitierweise:
Albrecht von Haller: Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit aus: Der physikalische und oekonomische Patriot Oder Bemerkungen und Nachrichten aus der Naturhistorie, der allgemeinen Haushaltungskunst und der Handlungswissenschaft, 3 Teil, 3 Quartal, S. 296–309. Grund, Hamburg 1758, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gedanken_vom_Saufen,_und_dessen_Sch%C3%A4dlichkeit.pdf/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)