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Albrecht von Haller: Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit aus: Der physikalische und oekonomische Patriot Oder Bemerkungen und Nachrichten aus der Naturhistorie, der allgemeinen Haushaltungskunst und der Handlungswissenschaft, 3 Teil, 3 Quartal, S. 296–309

nimmermehr Beyfall erwerben; und wenn er sich ja einigen erwirbt: so werden die, so ihm folgen, entweder eben solche Heuchler, oder eben solche unglückliche Wahnsinnige seyn, als er selbst ist. Man betrachte die mannichfaltigen Geschlechter der Thiere, und die Eintheilung ihres Lebens. Fast alle ihre Handlungen sind Vergnügungen: denn die Lust ist die allgemeine Triebfeder derselben. Sie essen, trinken, schlafen, pflanzen sich fort, und springen oder fliegen, laufen und hüpfen, schwimmen und kriechen umher, alles, nachdem ihnen die Lust dazu ankömmt. Nun sind wir freylich zwar Menschen; allein, hören wir um deswillen wol auf, Thiere zu seyn? Nein, keinesweges. Einerley Triebfedern, einerley Lüste, setzen Menschen und Thiere in Bewegung. Daß wir aber unsere Handlungen nach höhern Absichten einrichten; daß wir die Zwecke derselben öfter einsehen, als die Thiere; daß wir durch Mäßigung unsere Triebe adeln, u.s w. das sind Wirkungen der Vernunft, die unsre Natur zwar vollkommener machen, aber nicht umschaffen. Wenn es mir erlaubt ist, eine Vergleichung anzustellen, die ihre Einschränkungen leidet; so verhalten sich die Handlungen der Menschen, als solcher, zu den thierischen, wie sich die Früchte eines edlen Pfropfreises, das auf einen wilden Stamm geimpft worden ist, zu den Früchten verhalten, welche der wilde Pfropfstamm, sich selbst gelassen, getrieben haben würde. Es wachsen sowol diese, als jene, nach einerley und eben denselben Gesetzen der Natur. In ihrem Ursprunge ist kein wesentlicher Unterschied: allein das Pfropfreis besitzt die Kraft, den rohen Nahrungssaft, der ihm aus dem Stamme zugeführet wird, zu veredlen, und eine vollkommnere Art Früchte hervor zu bringen. Die Vernunft ist gleichsam das Pfropfreis, das unsern Handlungen einen gewissen Adel giebt, welchen sie ohne dasselbe nicht erhalten haben würden. Die thierischen Triebe hingegen, oder, wenn man lieber will, die Sinnlichkeit, oder die natürlichen Neigungen, sind allezeit der erste Stoff u. die ersten Triebfedern unsrer Handlungen. Wenn aber dem also ist, wenn wir unmöglich Menschen seyn können, ohne zugleich Thiere zu seyn, wenn unsre menschlichen Handlungen durch die Vernunft nur modificirt, durch die allgemeinen thierischen Triebfedern aber ursprünglich hervorgebracht werden, und wenn endlich das allgemeine Gesetz der thierischen Handlungen darinn besteht, daß sie nach Maßgebung unsrer sinnlichen oder thierischen Vergnügungen bestimmt und gebildet werden; so kann kein Mensch die Vergnügungen entbehren, und so wäre es eine thörigte Bemühung wider die Natur, unsre Handlungen ihren Triebfedern entgegen zu setzen, und ihnen einen andern Ursprung geben zu wollen, als der unsrer Natur gemäß ist. Um deswillen kann ich mir nimmermehr einbilden, daß es mit der Vernunft oder mit der Aufrichtigkeit derer seine völlige Richtigkeit habe, die sich einbilden, man müsse, um tugendhaft zu leben, die Gesetze der Natur vernichten; man müsse keine seiner Handlungen um deswillen verrichten, weil uns ein Vergnügen dazu anreizet; man müsse sie für sündlich und unedel halten, weil uns ein Trieb der Lust dazu anspornet, und man müsse sie nie um deswillen ausführen, weil sie ein Theil unsrer Vergnügungen sind, weil sie unsre Neigungen sättigen, und weil sie unsrer Sinnlichkeit schmeicheln.

Diese Sprache könnte verdächtig scheinen, wenn ich mir vorgesetzt hätte, eine gewisse Art der Wollust des menschlichen Geschlechts zu erheben, oder einer angenehmen Thorheit das Wort zu reden, die wider die Sittlichkeit streitet. Allein, da ich mir vorgesetzt habe, die Menschen in Absicht einer

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Albrecht von Haller: Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit aus: Der physikalische und oekonomische Patriot Oder Bemerkungen und Nachrichten aus der Naturhistorie, der allgemeinen Haushaltungskunst und der Handlungswissenschaft, 3 Teil, 3 Quartal, S. 296–309. Grund, Hamburg 1758, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gedanken_vom_Saufen,_und_dessen_Sch%C3%A4dlichkeit.pdf/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)