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Trost des ewigen Lebens.

Nach einer Prüfung kurzer Tage
Erwartet uns die Ewigkeit.
Dort, dort verwandelt sich die Klage
In göttliche Zufriedenheit.

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Hier übt die Tugend ihren Fleiß;

Und jene Welt reicht ihr den Preiß.

     Wahr ists, der Fromme schmeckt auf Erden
Schon manchen selgen Augenblick;
Doch alle Freuden, die ihm werden,

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Sind ihm ein unvollkommnes Glück.

Er bleibt ein Mensch, und seine Ruh
Nimmt in der Seelen ab und zu.

     Bald stören ihn des Körpers Schmerzen,
Bald das Geräusche dieser Welt;

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Bald kämpft in seinem eignen Herzen

Ein Feind, der öfter siegt, als fällt;
Bald sinkt er durch des Nächsten Schuld
In Kummer und in Ungeduld.

     Hier, wo die Tugend öfters leidet,

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Das Laster öfters glücklich ist,

Wo man den Glücklichen beneidet,
Und des Bekümmerten vergißt;
Hier kann der Mensch nie frey von Pein,
Nie frey von eigner Schwachheit seyn.

Empfohlene Zitierweise:
Christian Fürchtegott Gellert: Geistliche Oden und Lieder. Weidmannische Handlung, Leipzig 1757, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geistliche_Oden_und_Lieder-Gellert.djvu/182&oldid=- (Version vom 1.8.2018)