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Seite:Gemäldegalerie Alte Meister (Dresden) Galeriewerk Lücke.djvu/48

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und berühmtesten sind. Von einem Nachkommen der Cuccina erwarb sie 1645 der Herzog von Modena in sehr ungewöhnlicher Weise, durch Gewährung eines Lehens, mit dem der Grafentitel und eigne Gerichtsbarkeit verbunden war; ein Jahrhundert später kamen sie aus der modeneser Sammlung nach Dresden. Das eine dieser Bilder gehört in die Reihe jener berühmten „Gastmähler“, in denen Paolo unter biblischem Titel das vornehme venezianische Leben seiner Zeit so glanzvoll geschildert hat. Die biblischen Vorgänge, die als Gegenstände der Bilder genannt sind, sind unmittelbar in die damalige Gegenwart verlegt; die Hochzeit zu Kana, das Gastmahl bei dem Pharisäer Simon, das Gastmahl bei dem Zöllner Levi sind festliche Begebenheiten im Kreise venezianischer Nobili, den Schauplatz bilden die Marmorhallen venezianischer Paläste; die vornehme venezianische Gesellschaft in den Augenblicken festlichen Glanzes, festlich gehobener Stimmung ist der eigentliche Gegenstand der Gemälde. Sie waren ursprünglich zum grösseren Teil zum Schmuck von Klosterrefektorien bestimmt und bekannt ist, dass Paolo wegen des einen, an dessen weltlichem Charakter die Mönche Anstoss nahmen, von der Inquisition zur Rechenschaft gezogen wurde. Jeder Anklang an das kirchlich Traditionelle ist aus diesen Bildern verschwunden.

Unter den Gemälden mit dem Titel der Hochzeit zu Kana ist nächst dem im Louvre zu Paris das in Dresden das glänzendste (s. d. Abb.): eine reich bewegte Komposition, prachtvoll vor allem in der Gesammtwirkung, in dem Vollklang der Farbe, in dem Glanz der Lokaltöne, die in den herrlichsten Akkorden zusammenstimmen, meisterhaft aber auch in der Charakteristik der bei dem festlichen Mahle vereinigten aristokratischen Gestalten. Trefflichere Typen der aristokratischen Renaissancegesellschaft hat kein anderer gezeichnet als Paolo in den vornehmen Venezianern dieser Gastmähler, aus denen die genussfrohe, weltfreudige Stimmung der Renaissance wie aus rauschenden Symphonien wiederklingt.

Von den drei übrigen für die Familie Cuccina gemalten Bildern sind in unserm Werk die Anbetung der Könige und die Madonna mit der Familie Cuccina wiedergegeben, zwei nicht minder glänzende Stücke des grossen Farbenkomponisten. Besonders bewundernswert in der Komposition und koloristischen Prachtentfaltung ist die Anbetung der Könige. In der Grossartigkeit der malerischen Anordnung, in dem schwungvollen Linienrhythmus, in dem harmonischen Pomp der Farbe gehört das Bild zu Paolos imposantesten Werken. Freilich, tiefer ergreifende Züge, wie sie so manchen Darstellungen desselben Gegenstands aus früheren Kunstepochen eigen sind, fehlen in diesem Prachtstück. Der Gegenstand ist vor allem als Anlass benutzt, in prächtig vornehmen Gestalten und kostbaren Gewändern den reichsten malerischen Glanz zu entfalten. Der geschilderte Vorgang macht nur den Eindruck einer feierlichen Ceremonie. – Das andere Bild, die Familie Cuccina, die Madonna verehrend, ist von ähnlicher Wirkung. Einen besonders tiefen und ergreifenden Gefühlsausdruck wird man auch hier nicht finden, weder in den Gestalten der Anbetenden, noch in der Madonna; die allegorischen Figuren, die Gestalten des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung, die den Verehrenden als Begleiterinnen zugesellt sind, zeichnen sich nicht durch besonders bedeutsame Züge aus. Die Hauptwirkung liegt auch hier in der Pracht der malerischen Gesammterscheinung. Bis zu einem gewissen Grade macht sich die Farben- und Linienschönheit selbständig geltend. Hierin beruht das, was man als den „dekorativen“ Charakter dieser Bilder bezeichnet. Geht ihnen eine tiefere seelische Wirkung ab, so sind sie dafür, wie man treffend gesagt hat, ein wahres Fest für die Augen.

Empfohlene Zitierweise:
Hermann Lücke: Die Königliche Gemäldegalerie zu Dresden. Franz Hanfstaengl, München 1894, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gem%C3%A4ldegalerie_Alte_Meister_(Dresden)_Galeriewerk_L%C3%BCcke.djvu/48&oldid=- (Version vom 26.12.2024)