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aber das Problem der kirchlichen Organisation in ihren Anfängen an der mittleren Rezat zu lösen suchte. Er wandte dazu, wie er selbst sagte, eine „neuartige Arbeitsweise“ an im Gegensatz zu den bisherigen Methoden bei der Behandlung solcher Fragen. Die gleiche Arbeitsweise hatte er schon in einem ersten Artikel über „Siedlung und Kirche an der oberen Tauber im frühen Mittelalter“ im Jahrgang 14 und 15 dieser Zeitschrift angewandt, worauf er wiederholt Bezug nimmt. Als Resultat seiner Untersuchung glaubte er beidemale feststellen zu können, daß die bisherige Annahme von Urpfarreien, aus denen sich der kirchliche Organismus im Laufe der Jahrhunderte entwickelt habe, ein „Phantom“ sei. Der geschichtliche Verlauf habe vielmehr folgenden Gang genommen:[1]

 Zuerst die pippinisch-karlingische Fiskalpfarrei als Eigenpfarrei des Frankenherrschers auf Königsland;

 dann die spätkarlingisch-ottonische Eigenkirche des adeligen Grundherrn in der wirtschaftlich führenden Siedlung der Grundherrschaft, im 11. Jahrhundert umgeben von gleichfalls grundherrlichen Meierhof-Kapellen;

 weiter die auf dieser Grundlage von geistlichen Gewalten, Kloster, Stift oder Bischof, neu organisierte hochmittelalterliche Großpfarrei (10. bis 13. Jahrhundert);

 endlich die durch Zerschlagung der Großpfarrei im 14. Jahrhundert aufkommende Kleinpfarrei.

 Zu diesem Ergebnis gelangte er auf Grund besonderer Quellen:[2]

 a) der Bodenfunde aus prähistorischer Zeit und der dadurch erschlossenen Vorgeschichte;

 b) der Ortsnamen und der daraus abzulesenden historischen Siedlung, die ihrerseits aufs stärkste bedingt ist durch die Raumlage der Landschaft, durch deren Bodenbeschaffenheit und durch die vorgeschichtliche Siedlung;

 c) der Patroziniumskunde.

 Die kirchlichen Verhältnisse des 12.–14. Jahrhunderts dürfe man nicht in das 8.–9. Jahrhundert zurückprojizieren, da inzwischen die Klunyazensische Reformbewegung neu gestaltend eingegriffen habe. Darum müsse man Wege beschreiten, die unmittelbar bis in die Zeit der kirchlichen Anfänge zurückführten, und das seien – neben den spärlichen urkundlichen Nachrichten – die angeführten drei Wege.

 Dr. Weigel hat diese Forschungsmethode selbst als einen Versuch bezeichnet;[3] und er hat den Versuch gemacht mit dem vollen Rüstzeug wissenschaftlicher Kenntnisse, mit einer Fülle von Namen und Zahlen, Kombinationen und Schlüssen. Dergleichen Versuche mit neuen Arbeitsweisen sind notwendig, wenn die Wissenschaft gefördert und befruchtet werden soll, und müssen immer als dankenswert begrüßt werden. Sie bergen freilich auch die große Gefahr in sich, daß man dabei auf Irrwege gerät und Fehlschlüsse macht. Sie müssen deshalb stets überprüft werden. Die benützten Quellen sind nach ihrem Werte und ihrer Tragweite sorgsam abzuschätzen; es werden da und dort Einschränkungen vorzunehmen oder auch Ergänzungen beizubringen sein.

 Diesem Zwecke möchten die nachfolgenden Ausführungen dienen, und zwar lediglich für das Gebiet der mittleren Rezat, da mir für den oberen


  1. Weigel 15, 36.
  2. Ebda. 16, 3.
  3. Ebda. 15, 36