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Sogar die Verbannung, in die er in den Dreissiger Jahren für seinen Anteil an einer gegen die russische Regierung angezettelten Verschwörung geschickt wurde, brachte ihm manchen Vorteil, indem sie ihm Gelegenheit bot das europäische Kulturleben näher kennen zu lernen. Anfänglich wurde ihm Wilna zum Aufenthaltsorte angewiesen und hier verliebte sich in den galanten georgischen Kavalier eine schöne Polin, die wohl auch in ihm das Interesse wachgerufen haben mag, das er später der polnischen Litteratur gegenüber an den Tag legte. Von Wilna wurde er nach Warschau geschickt, wo er gleichfalls manches Damenherz zu bestricken wusste. Eifrig studierte er nun die polnische Sprache und übersetzte zahlreiche Gedichte von Mickiewicz ins Georgische. Dann folgten seine Übersetzungen mancher Gedichte von Schiller, Petrarca und Puschkin und durch diese Übertragungen erwies er der Litteratur seines Vaterlandes einen grossen Dienst, indem er neue Ideen, neuen Geschmack und neue Vorbilder in dieselbe einführte. So wurde Georg Eristawi gewissermassen der Vorbereiter einer neuen Dichterschule, denn er streute Samen zu neuem Schaffen aus. In sein Vaterland zurückgekehrt, schritt er zur Gründung einer georgischen Nationalbühne, für die er auch eine Anzahl Lustspiele verfasste.

Nach ihm schlug kein georgischer Dichter mehr den Ton des Weltschmerzes an, denn die damalige georgische Gesellschaft, welcher die Lebensübersättigung fremd war und die ausser der rein praktischen Philosophie keine andere kannte, suchte im Gegenteil für ihr Geistesleben eine ideale Grundlage, die doch unmöglich der Byronismus sein konnte. Vom Instinkt geleitet wandten sich die Georgier bald ihrer Vergangenheit zu und der grelle Kontrast, welchen diese mit ihrer damaligen Lage verglichen, darbot, erweckte in ihnen mächtiges Leid, um die entschwundene Grösse und mit diesem zugleich den Drang nach einer besseren Zukunft.

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Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/113&oldid=- (Version vom 1.8.2018)