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Längst schon prangt um junge Reben
Grünes Maigewand.
Wann erwachst denn du zum Leben,
Teures Vaterland?

Dabei ist jedoch Tschawtschawadse kein müssiger Elegiendichter, er beschränkt sich nicht auf wehmutsvolle Klagen, sondern spornt zur That an und verlangt von seinen Landsleuten eine neue Bahn zu betreten:

An die georgische Mutter.

O Mutter! in vergangnen Ruhmeszeiten
War heilig unsern Frau’n das Vaterland,
Zu tapfern Helden sie die Söhne weihten
Und hielten wacker stets im Unglück Stand.

Der Riesenberge mächtig Donnerrollen
War jener Söhne rauhes Wiegenlied,
Und nie erschreckte sie der Feinde Grollen
Denn stets ihr Heldenmut den Sieg entschied.

Die Zeit ist hin und schweren Elends Schläge
Erschütterten, o Mutter, deine Kraft,
Und Schatten gleich ziehn hin am Lebenswege
Heut’ deine Söhne, längst vom Schmerz erschlafft.

Sag an, wo ist der Heldengeist der Ahnen,
Ihr hoher Rittersinn, der uns heut fehlt?
Zerrissen sind die alten Siegesfahnen,
Kein Freudenstrahl Georgiens Flur erhellt.

Doch eitel ists, den Glanz noch zu beklagen,
Der längst entschwand und nimmer wiederkehrt.
Schon hat der Neuzeit Stunde uns geschlagen
Und uns aus langem Schlummer aufgestört.

Heut gilt es unsre Zukunft zu bereiten
Und zu betreten eine neue Bahn.
Lass deine Söhne mutig vorwärts schreiten
Und meine Hoffnung bleibt vielleicht kein Wahn.

Hier ist, o Mutter, deines Wirkens Anker,
Hier magst du ausstreu’n deiner Tugend Saat;

Empfohlene Zitierweise:
Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/124&oldid=- (Version vom 1.8.2018)