Seite:Georgien. Natur, Sitten und Bewohner.pdf/123

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Ich steh allein! – der hohen Berge Schatten
Sind wie die Hüter dieser langen Nacht.
Ach Land! wann wirst denn du vom Schlaf ermatten,.
Wann kommt die Zeit, da auch dein Lenz erwacht?

An die Aragwa.

Aragwa, Zeugin meines Volkes Lebens!
Kein andrer Strom ist mir so wert und teuer.
Bei dir stand einst der Markstein unsres Strebens,
Bei dir erlosch das letzte Schlachtenfeuer.

Die Ruhmespracht des lieben Heimatslandes
War lang die schönste Zierde deiner Fluren,
Hier war die Wiege unsres Ritterstandes,
Hier stolze Feinde seine Kraft erfuhren.

In deinen ewig ungestümen Wellen
Liegt unsrer Vorzeit lange Mähr begraben,
Und jede Scholle bis zu deinen Quellen,
Mag unsrer Ahnen Blut gesogen haben.

An deinem Ufer, wo es jetzt so öde,
Stand einst der Bagratiden Königsveste,
Hier donnerte oft tapfrer Helden Rede,
Hier weilten sieben Könige einst[WS 1] als Gäste.

Fort wogten deine Wellen, es verflossen
Jahrhunderte, von Herrlichkeit umschimmert;
Mit ihnen schwanden jene Kampfgenossen,
Die heut kaum ein Erinn’rungsstrahl umflimmert.

Wie oft schau ich nicht hin auf deine Wellen,
Als wollt’ ich jenen Glanz zurückverlangen!
Doch wie mit Eile sie vorüberschnellen
Und eilend lispeln sie mir zu: Vergangen!

Auch der neu erwachende Frühling erinnert ihn nur ans Vaterland und macht seinen Wunsch, es wieder aufblühen zu sehen, rege:

Wieder lacht die milde Sonne
Und die Lerche singt,
Alles schwelgt in süsser Wonne,
Die der Frühling bringt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: eint
Empfohlene Zitierweise:
Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/123&oldid=- (Version vom 1.8.2018)