Seite:Georgien. Natur, Sitten und Bewohner.pdf/37

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Sieht man die altertümliche Hauptstadt Georgiens in ihrem heutigen, halb europäischen Gewande, so empfindet man unwillkürlich das Verlangen, manche Überreste ihrer glänzenden Vergangenheit kennen zu lernen. Leider besitzt Tiflis verhältnismässig wenig Altertümer, denn mehr als andere Orte Georgiens war diese Stadt stets den Angriffen der der Feinde ausgesetzt, die sie als Herz des Landes betrachtend, stets nach ihrer Einnahme strebten und in ihrem Besitz die Hauptbedingung der Eroberung Georgiens sahen. Am meisten litt dieses Land im Laufe seiner Vergangenheit von den Persern und Türken, obgleich es auch andere Nachbarvölker wie Lesgier und Tataren in hohem Grade beunruhigten. Alle diese Völker bekennen sich zum Glauben Mahomeds, weshalb es natürlich ihr erstes Bestreben war, das christliche Georgien und dessen Einrichtungen nach mahomedanischen Mustern umzumodeln. Da ihnen jedoch in diesen Bestrebungen die Georgier stets hartnäckigen Widerstand leisteten, so suchten sie bei jedem ihrer Einfälle, alle grösseren Städte und festen Plätze, die dem Lande Schutz verliehen, zu zerstören. Seit undenklichen Zeiten besass Tiflis starke Ringmauern, die auf dem Scheitel der die Stadt umgebenden Berge dahinliefen und stellenweise von Festungswerken unterbrochen waren. Der Zahn der Zeit hat diese Riesenmauern noch nicht völlig vernichtet und noch heute zeugen sie für die Anstrengungen, die die Georgier anwandten, um ihren Feinden Trotz zu bieten. Ausser diesen Ringmauern und dem Schlosse des letzten Königs Heraklius, einem Gebäude, das heute der russischen Militärverwaltung zugehört, sind in Tiflis fast gar keine anderen Gebäude verblieben, die für die einstige Macht Georgiens zeugen könnten, denn selbst das alte Königsschloss, in welchem die Bagratidenherrscher in der Glanzperiode residierten, ist spurlos verschwunden. Nach örtlichen Angaben zählte es dreihundert Gemächer und innerhalb seiner Hofmauern befanden sich

Empfohlene Zitierweise:
Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/37&oldid=- (Version vom 1.8.2018)