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In neueren Zeiten ist das Schrifttum der Armenier wiederum aufgeblüht und entwickelt sich nunmehr den modernen Anforderungen gemäss. Da die Ethik und der Charakter eines Volkes auf dessen Geistesfrüchte einen grossen Einfluss ausüben, tritt natürlich auch in der litterarischen Wirksamkeit der Armenier ein Übergewicht von praktischer Reflexion hervor, während in ihr die schöpferische Thätigkeit der blossen Einbildungskraft in geringerem Masse vorhanden ist.

In der schönen Litteratur wird vor allem die Erzählung gepflegt, für die auch die Armenier grosse Vorliebe zu haben scheinen. Kärglicher ist es um die Poesie bestellt, welche nur wenig und grösstenteils nur mittelmässige Vertreter hat.

Der heutige Roman der Armenier folgt in seiner Entwicklung streng den Mustern des Abendlandes und hat mehr gemein mit morgenländischem Fabulieren. Seinen Stoff schöpft er aus dem Gesellschaftsleben und ist gewissermassen ein Spiegel desselben. Die bedeutendsten Erzähler sind Raffi, Dserenz, Proschjanz, Abowjanz und Agajanz. Des Ersten Novellen gehören zu den gelesensten und behandeln das Leben der Armenier in verschiedenen Verhältnissen. Im „Blödsinnigen“ schildert Raffi Szenen aus dem russisch-türkischen Kriege, in den „Funken“ malt er Bilder aus dem Leben der in Persien und der Türkei wohnenden Armenier, während er im „Goldhahn“ vom Handel und Wandel der armenischen Kaufleute im Kaukasus erzählt.

In den neuesten Schöpfungen der armenischen Belletristik macht sich deutlich eine realistische Strömung geltend, indem sich in ihnen das wirkliche Leben abspiegelt und Charaktere vorkommen, die keineswegs idealisiert sind. Allerdings scheint es dabei an einer pessimistischen Färbung nicht zu fehlen, aber selbst auch diese lässt sich mitunter durch die Wirklichkeit rechtfertigen. Fast immer ist es

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Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/46&oldid=- (Version vom 1.8.2018)