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den Armeniern für die Georgier gefährlich, zumal sie von jenen in der Kunst materielle Mittel zu erwerben und zu erhalten, weit übertroffen werden.

Bei solchen Verhältnissen sind natürlich auch die gegenseitigen Beziehungen dieser beiden Völker ziemlich gespannt oder bestehen teilweise gar nicht. Der Georgier achtet gewöhnlich den Armenier sehr gering, lernt seine Sprache nicht und hält sich so viel als möglich fern von ihm, wobei er verlangt, dass dieser den Rechten, die stets dem heimischen Elemente zustehen, Rechnung trage und sich den örtlichen Verhältnissen füge. Der Armenier thut das auch ohne Zaudern, lernt bereitwillig die georgische Sprache und richtet sich überhaupt in vielem nach der Landessitte, wobei er natürlich seinen eigenen Vorteil und Nutzen, den er aus einer solchen Fügung ziehen kann, zunächst im Auge hat.

Ähnlich verhält sich auch der Armenier den Russen gegenüber, in welchen er, die Macht schätzend, ein Element sieht, mit dem er leichter auf freundschaftlichem als gespanntem Fusse fortzukommen meint.

Obgleich sowohl die Armenier wie die Georgier ihre Unabhängigkeit eingebüsst haben, so war doch ihre Vergangenheit eine verschiedene und während die ersteren schon im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts vor dem Halbmonde die Waffen streckten, führten die Georgier noch fast zwei Jahrhunderte lang den Kampf um ihre Selbstständigkeit fort. Die letzteren erfüllten ihre Mission nicht ohne Ruhm und ihre Geschichte ist ungemein reich an Heldenthaten und seltener Aufopferung für Glauben und Freiheit. Dieser edle Zug schwand allerdings immer mehr mit dem Verfalle des Rittertums und Georgien wurde schliesslich der Schauplatz anarchischer Gesetzlosigkeit und langwieriger Bürgerkriege, aber trotzdem bewahrten seine Bewohner gewisse Rittertugenden und büssten nie völlig ihre Männertüchtigkeit ein.

Empfohlene Zitierweise:
Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/50&oldid=- (Version vom 1.8.2018)