Seite:Georgien. Natur, Sitten und Bewohner.pdf/99

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

So herrschte lange Jahre Lust und Frohsinn in der georgischen Hauptstadt, wenn auch dieses Festtagsleben einer mit sich selbst zufriedenen Ritterschaft oft von Waffengeklirr und Kriegsgeräusch unterbrochen wurde. Nach den fast stets siegreichen Feldzügen glich die Rückkehr des Heeres nach Tiflis immer einem Triumphzuge, dessen Pracht oft fabelhaft war, denn ausser zahlreichen Trophäen brachten die Sieger eine Beute heim, deren Wert unberechenbar schien. Alle Schatzkammern in den Schlössern der Ritter füllten sich mit Schätzen; Gold und Edelsteine wurden massweise verhandelt und die Pferde der in die Hauptstadt einziehenden siegestrunkenen Krieger stampften über kostbare Teppiche, die bei dem Zufluss so reicher Schätze keinen Wert mehr hatten. Es waren das geräuschvolle Zeiten und das heutige stille Tiflis mochte wohl damals ein ganz anderes Bild gewähren. Ohne Unterlass weilten in seinen Mauern ein paar Tausend vergnügungssüchtiger Ritter, lange Karawanen durchzogen seine Strassen und Festgesänge ertönten in seinen Palästen, die von reich geschmückten Männern und Frauen bevölkert waren. Eine wissenschaftliche Akademie verbreitete dabei die mildernden Strahlen geistiger Kultur, zahlreiche Jünglinge gingen und kamen von Athen oder anderen Schulen Griechenlands, eifrige Geistliche disputierten. Dichter sangen und griechische Baumeister und Maler schmückten die Kirchen und Schlösser der Reichen.

Fügen wir noch den heiteren Glanz des georgischen Himmels hinzu, die herrliche Natur, ihre üppigen Früchte und besonders den Feuerwein, dann die Reize zahlloser schöner Frauen und wir werden im stande sein uns jenes Leben zu vergegenwärtigen, welches in Georgien pulsierte, als die geistige Entwicklung seiner Bewohner im Blütenalter stand.

Die einem solchen Leben entkeimte Poesie kann natürlich nichts anderes sein als sein unmittelbarer Ausdruck,

Empfohlene Zitierweise:
Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/99&oldid=- (Version vom 1.8.2018)