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Johann Philipp Glökler: Land und Leute Württembergs, Band 3

Die größte der Orgeln, mit Donnerlauten
Sie drängt sich noch immer zur Kuppel empor,
Doch anders, als da sich die Beter erbauten
Der Priestergemeinde im festlichen Chor;
     Die mächtigen Pfeiler, der Hochaltar,
     Ganz wie es in grauen Zeiten war;
Die Väter aber sind heimgegangen,
Die einst die heilige Messe hier sangen.

Noch schwimmt um die herrlichen Kapitäler
Der klassische Duft der Vergangenheit,
Noch mahnen der Andacht Riesenmäler
An eine fromme, romantische Zeit;
     Doch der Tritt der Sandale erschallt nicht mehr,
     Die Zellen sind ausgestorben, sind leer,
Aus den stattlichen Gängen und Corridoren
Hat sich das Gesumm’ der Breviere verloren.

Und dennoch wimmelt’s vom rührigsten Leben,
Und trippelt geschäftig im eiligen Lauf;
Dreihundert geborgene Waisen heben
Die Hände zum himmlischen Vater hinauf.
     Zwar längst sind Vater und Mutter todt,
     Doch die Sinne sind frisch und die Wangen roth,
Sie haben noch einen Vater gefunden,
Wir kennen und lieben ihn alle – hier unten.

Drum laßt Euch, Ihr guten Väter, versöhnen,
Und laßt Euch nicht stören in Eurer Ruh’;
Was irdisch ist, muß sich an Wechsel gewöhnen,
Der Veränderung strebt das Vergängliche zu;
     Nur drüben ist Alles vom Wandel frei,
     Und ob’s auch bleibe, doch ewig neu;
Laßt friedlich das Kloster als Waisenhaus stehen
Bis Priester und Waisen in’s Vaterhaus gehen. *)

     * F. Cleß

Empfohlene Zitierweise:
Johann Philipp Glökler: Land und Leute Württembergs, Band 3. Stuttgart: C. Cammerer, 1863, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gloekler_Land_und_Leute_Bd3.djvu/419&oldid=- (Version vom 1.8.2018)