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gepredigt hatte. Als sie gestorben war, hat man ihr überall und besonders auf diesen Bergen Standbilder und Bethäuser errichtet und ihr zu Ehren in der h. Walpurgisnacht überall auf den Bergen Feuer angezündet, dafür beschützte sie das Vieh gegen das Behexen. Wer aber am dritten Pfingstfeiertage sowie an Walpurgis und Margarethe zu dieser Kapelle wallfahrete, hatte 100tägigen Ablaß für seine Sünden.


721) Die heutigen Wendenkönige.
S. J. Tollii Epist. itinerar. ep. II. Haupt Bd. II. S. 15. R. Gosche in: Unser Vaterland Bd. II. S. 17 fgg.

Es ist eine alte Sage, daß die Wenden in der Niederlausitz noch heut zu Tage ihren König unter sich haben, den sie gemeinschaftlich aus ihrer Mitte wählen, ihm Krone und Scepter zustellen und jährlich zu seinem Unterhalte eine Kopfsteuer entrichten. Sie erweisen ihm alle königliche Ehren und gehorchen seinem Befehle in allen, das ganze Volk betreffenden allgemeinen Angelegenheiten. Jedoch halten sie die Sache so geheim, daß alle Bemühungen, den rechten Grund zu erfahren und den König selbst unter den Bauersleuten ausfindig zu machen, bisher ohne Erfolg gewesen sind. Soviel nur weiß man, daß die Königswürde in einer gewissen Familie erblich ist. Diese Familie soll jedoch vor wenigen Jahren mit dem letzten Sproß des wendischen Königsstammes, einer alten siebenzigjährigen Frau, ausgestorben sein. Diese alte Frau hat es noch vor ihrem Tode sehr beklagt, daß sie Niemandem offenbaren könne, was sie von der Sache wisse. Auch mehrere Oberlausitzer Wendengeschlechter in der Gegend von Bautzen rühmen sich königlicher Abkunft, im Spreewalde knüpft sich die Sage vom letzten wendischen Fürsten an den Burgberg im Dorfe Burg, wo er residirt haben soll und wo man allerdings unter andern Alterthümern goldene Diademe gefunden hat.

Einst hat sich ein wendischer Bauer an die Spitze eines aufsässigen Haufens gestellt und sich gleichwie ein König geberdet.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_109.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)