Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens II 181.jpg

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Schätze, die sie gewonnen, dahin gegeben für den einzigen Schatz, den sie verloren. Und ob sie auch ihr gehabtes Unglück denen anzeigte, die zu Rathe sitzen, so konnten sie ihr doch nicht rathen und helfen, ja alles Nachforschen und Suchen und Graben war sonder Nutzen, so viel dessen auch auf gemeiner Stadt Kosten veranstaltet und vorgenommen werden mochte. Was aber jene schmerzlich betrübte Mutter durch alle ihre Sorgfalt und Mühe nicht zu erlangen vermochte, das konnte Geduld und Zeit ihr gewähren, denn als nun endlich wieder die Zeit der Ostern herbeigekommen war und die Stunde, wo man vom Chore herab die Passion absang, ging das Weib abermals hinaus, die Stelle zu suchen, wo sie vor einem Jahr so glücklich und doch so unglücklich gewesen, und siehe, da öffnete sich mit einem Male wieder jene unterirdische Pforte mit ihren Karfunkeln gleich blitzenden Schätzen. Sie aber, thränend und sehnend, sieht nichts denn ihr Kindlein, das immer noch auf jenem runden Tische sitzend, wohin sie es einst gesetzt, munter spielte mit den frischen Aepfeln und freundlich die Arme ihr entgegenstreckte. Gar gern wählte sie diesmal für alle die todten Schätze den lebenden, doch als sie mit ihm das Sonnenlicht erblickte, erblich das Kind ihr in den Armen[1]. Nach einem andern Berichte hätte jedoch das Kind nur eine dreitägige Ohnmacht befallen, und da ein Jeder an dem Schicksale der unglücklichen Mutter Theil nahm, so habe auch ein wunderthätiger Mann der Gegend davon gehört, es sei ihm gelungen, dem Kinde wiederum Leben und Gesundheit zu schenken und zwar mittelst heilsamer Kräuter, die nicht weit von jenem Goldkeller wuchsen, weshalb auch eine Stelle daselbst bekanntlich der Kräutergarten heißt. Der darauf munter gewordene Knabe war aber nie mehr auf den Berg zu bringen, mochten seine Gespielen auch noch so fröhlich dahin eilen, und als er zum Jüngling herangewachsen und


  1. Ganz ähnliche Sagen knüpfen sich an den vermeintlichen Goldkeller im Kottmarberger und im Falkenberge bei Neustadt bei Stolpen, an die Landskrone in Görlitz und an den Meisengrund bei’m Tollenstein in Böhmen
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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_181.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)