Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens I 435.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

fast alle Nächte zu der Näherin gekommen und hat sich mit traurigen Geberden vor ihr Bett gestellt, auch öfters bitterlich geweint, da denn die herabfallenden Thränen wie weiße Milch ausgesehen, welche das Gespenst mit einem schönen weißen Schnupftuch abgewischt hat. Ob nun gleich der Superintendent dem Mädchen verboten, sich mit dem Gespenste in ein Gespräch einzulassen, hat sie es doch nicht lassen können, sondern gefragt, was es denn wolle, worauf es mit einer ganz ungewöhnlichen Stimme geantwortet, sie solle mit ihm gehen und einen Schatz heben, der gehöre zwar dem Superintendenten, allein sie solle davon Allen im Hause soviel bringen, daß sie Alle genug hätten.

Nun hat das Gespenst sein Begehren alle Nächte wiederholt, endlich ist die Näherin mitgegangen, und wie sie durch des Superintendenten Studirstube gehen, und zwei angezündete Unschlittlichter in den Händen haben, thut sich auf einmal die Thüre auf den Saal hinaus von selbst auf, worauf ihr ein ziemlicher Haufe von schwarzgekleideten Mönchen entgegenkommt, unter welchen ein sehr langer war, der sich nach ihr hinneigte und beide Lichter ausbließ, daher sie seufzte: „ach Jesus!“ aber diese Worte zogen einen solchen Tumult nach sich, daß es schien, als wolle Alles zu Grund und Boden gehen. Hierauf ist sie vor Schreck davongelaufen, hat sich aber verirrt, und ist in das Schlafgemach des Superintendenten gekommen, der von dem Lärm aufgewacht war und gemeint hatte, es sei ein großer Stein in seine Studirstube geworfen worden. Als er aber die Näherin erblickt, hat er ihr zugerufen zu beten, und selbst angefangen zu singen, das Mädchen aber hat gesehen, wie die ganze Kammer nach und nach durch das Absingen der geistlichen Lieder von den schwarzen Mönchen, mit denen sie angefüllt war, leer ward. In der nächsten Nacht ist das Gespenst zu der Näherin, die mittlerweile krank worden war, wiedergekommen und hat gesagt, sie hätte sich nicht fürchten sollen, denn die schwarzen Männer würden ihr nichts gethan haben, der Schatz stehe schon außen und bestehe aus Kirchenkleinodien,

Empfohlene Zitierweise:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_I_435.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)