Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache | |
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Optativs) das Alte im allgemeinen gewahrt, aber von den Tempora zeigt nur Präsens und Futurum (z. B. altlat. faxo) das alte aus dem Griechischen und anderen Schwestersprachen bekannte Aussehen; für die übrigen Tempora sind neue Bildungen im Werden, für das Passivum die mit dem Charakter -r-, die wir nachher in ihrer vollsten Ausgestaltung im Latein wiederfinden (amor amaris amatur usw.).
Syntaktisch-stilistische Eigentümlichkeiten im UritalischenSchwieriger ist es, jene Urzeit auch syntaktisch und – wenn man uns das Wort erlauben will für eine Zeit, der schriftlicher Ausdruck jedenfalls noch sehr fremd war – stilistisch zu charakterisieren. Immerhin lassen sich einzelne Züge aus der Übereinstimmung der einzelnen italischen Sprachen unter sich, aber auch mit den anderen indogermanischen Sprachen erschließen. Gewisse Wörtchen, die den modernen Sprachen in jedem Satze unentbehrlich scheinen, die uns gewissermaßen der Mörtel zwischen den einzelnen Steinen dünken, aus denen wir einen Satz aufbauen, waren überhaupt nicht vorhanden oder konnten wenigstens fehlen. So wußten die alten Italer nichts von bestimmtem und unbestimmtem Artikel, wie wir auch im Latein nur hier und da einmal schwache Ansätze zu der reichen romanischen Entwicklung dieser Wortkategorie erscheinen sehen. Die Präpositionen waren noch eingeschränkt durch die vorhin geschilderte Knappheit der grammatischen Formenreiche Fülle des Kasussystems: Wendungen wie „in dem Hause“, „aus dem Hause“, „durch die Waffen“ ließen sich daher durch ein Wort wiedergeben, wie das ebenfalls noch aus dem Lateinischen jedem Schüler geläufig wird. Ganz gewöhnlich fehlt beim Verbum die Bezeichnung der Person durch ein besonderes Pronomen, das „ich“ und „du“, ja für „er“, „sie“ und „es“ haben sich nur sekundär in den einzelnen italischen Sprachen Ausdrücke herausgebildet. Noch mehr Knappheit hat das Verbum der italischen Urzeit und so auch das lateinische vor unserm deutschen dadurch voraus, daß auch die Modi im ganzen nicht mit Hilfe so weitläufiger Umschreibungen wie könnte, möchte, würde, sondern nach altindogermanischer Art durch eine einheitliche Form ausgedrückt werden. So kann man, wenn man das vorhin gebrauchte Bild vom Mörtel wieder aufgreifen will, die Struktur des ältesten Italischen als zyklopisch bezeichnen. Daß diese Struktur in dem historischen Latein noch vielfach fortdauert, haben wir schon erwähnt; sie ist es, die, namentlich wo sie von Dichtem und Rhetoren als Mittel für ihre Zwecke benutzt wird, jene und des gesamten Ausdrucks.einzig knappe und markige Redeweise gestattet, in der alles nicht unbedingt zum Ausdruck des Gedankens Nötige verflüchtigt, der Gedanke selbst wie konzentriert erscheint. Fortes fortuna adiuvat ‚Tapfern hilft (das) Glück‘, factum, non fabula ‚Tatsache, nicht Fabel‘, oderint, dum metuant ‚(sie mögen mich) hassen, wofern (sie mich nur) fürchten‘ und wieviel Sprichwörter, geflügelte Worte und Zitate aus den in der Schule gelesenen Autoren können als Beispiel dienen. Wie Hammerschläge, von denen jeder voller Wucht den Nagelkopf trifft, klingt das odi profanum volgus et arceo, und einen Übersetzer, der das empfindet, muß das
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Karl Krumbacher, Jacob Wackernagel, Friedrich Leo, Eduard Norden, Franz Skutsch: Die Griechische und Lateinische Literatur und Sprache. B. G. Teubner, Leipzig 1913, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Griechische_und_Lateinische_Literatur_und_Sprache.djvu/538&oldid=- (Version vom 1.8.2018)