Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 014.jpg

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kann, verbrannt werden. Schon steht sie in dem Feuer, da kommt der schwarze Wagen, die Jungfrau tritt heraus, geht durch die Flammen, die sich gleich niederlegen und erlöschen, hin zu der Königin, schlägt ihr auf den Mund und gibt ihr damit die Sprache wieder. Die drei andern Jungfrauen bringen die drei Kinder, die sie aus dem Wasser gerettet haben. Der Verrat kommt an den Tag, und die böse Schwiegermutter wird in ein Faß getan, das mit Schlangen und giftigen Nattern ausgeschlagen ist, und wird einen Berg herabgerollt.

In diesen und den verwandten Märchen handelt es sich teils um eine dem Mädchen auferlegte Prüfung des Gehorsams oder der Geduld im Leiden, teils um die Erlösung eines verzauberten Wesens durch standhaftes Schweigen, obwohl der Grundgedanke nicht immer klar entwickelt ist. Wir können drei Gruppen unterscheiden; entweder ist es die Jungfrau Maria, die ihrem Paten- oder Pflegekinde die Probe des verbotenen Zimmers (oder des verbotenen Rosenstockes oder das Hühnleinhüten) auferlegt, oder wie in unsrer zweiten Erzählung eine geheimnisvolle schwarze Frau, die wie Melusine zu gewissen Zeiten Tiergestalt annehmen muß oder der Erlösung harrt, oder drittens ein Mann.

Zur ersten Gruppe gehören neben Benedicte Nauberts ‘Ottilie’ (Neue Volksmärchen der Deutschen 1. 1789 = 1839 3, 1–66) und Aurbachers Volksbüchlein für die Jugend 1834 S. 282 die oberpfälzischen Märchen bei Schönwerth 3, 317 ‘Von unsrer lieben Frau’ (Huhnleinhüten) und 311 (verbotenes Zimmer. Der zweite Teil weicht ab), die ostpreußischen bei Lemke 2, 180 und 183 ‘Marie und die Mutter Gottes’, das norwegische bei Asbjörnsen nr. 8 ‘Die Jungfrau Maria als Gevatterin’ = Dasent p. 216 ‘The lassie and her godmother’, das färöische bei Jakobsen S. 619 nr. 66 ‘Das Mädchen, das die Jungfrau Maria zu sich nahm’, das lothringische bei Cosquin nr. 38 ‘Le bénitier d’or’, das rumänische bei Schott S. 90 nr. 2 ‘Die eingemauerte Tochter’, vgl. Şăinénu p. 334, das wendische bei Haupt-Schmaler 2, 179 nr. 16 ‘Die Patenschaft der h. Maria’ = Haupt 2, 219 = Erben, Slov. čit. S. 80 (kein Geständnis zum Schlusse), das polnische aus dem Gouv. Płock bei Chełchowski 2, 66 (der zweite Teil fehlt), bei Kozłowski S. 317, das kleinrussische aus Nordungarn im Etnograf. Zbirnyk 3, 52 (Eingang fehlt. Der verbotene Brunnen vergoldet den Finger), das slovenische aus Görz in Nar. pripov. v Soških plan. 1, 18 =

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_014.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)