Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 055.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

ab. Aus der jahrelangen Versteinerung erlöst ihn das Kindesblut. Noch abenteuerlicher gestaltet ist die bengalische Version, wo der Vezierssohn den Prinzen zu einer unter Wasser gefangen gehaltenen Königstochter führt und, als diese durch ein altes Weib geraubt wird, als Blödsinniger verkleidet den Wunschstein und die Schöne zurückholt; dann beseitigt er die von Vögeln geweissagten Gefahren (Elefant, Tor, Fisch, Schlange), wird versteinert und durch das Blut des Kindes belebt, das die Göttin Kali auferweckt. Aber einzelne Teile des Märchens sind schon in früher Zeit in Indien nachweisbar. Zunächst der schlaue Vezierssohn, der dem Prinz die Braut erringen hilft: Hertel, Zs. f. Volkskunde 18, 69¹; Dracott, Simla village tales p. 49. Dann der treue Diener, der die ihm durch Belauschen bekannt gewordenen Lebensgefahren von seinem König abwendet und dabei den Zorn und die Eifersucht seines Herrn auf sich lädt[1]: Somadeva 1, 253 ed. Tawney = Hertel, Bunte Geschichten vom Himalaja 1903 S. 11 (vgl. Brockhaus, BSG. 1860, 117); Südliche Rezension des Pantschatantra (Hertel, ZdmG. 61, 69); Vier Geheimrat-Minister übers. von Chr. Rama Ayen 1854 S. 16 ‘Padawaditen’; Knowles p. 421–441 ‘The four princes’; Leclère 1903 p. 128. 132. Während die jüngeren Fassungen teilweise von der verwandten Erzählung über den treuen Vīravara[2] beeinflußt sind oder weiter ablenken, berichtet Somadeva ausdrücklich von der Brautfahrt des Königssohnes, auf der ihn der Kaufmannssohn Brahmadatta begleitet; eine Entstellung aber liegt darin, daß sich die Voraussagung der nächtlichen Stimmen nicht erfüllt, wer die prophezeiten Gefahren (Halsband, Mangofrucht, Haus, Niesen) offenbare, müsse sterben. Ein kalmückisches Märchen bei Ramstedt 1, 99 verbindet die Rettung des Brautpaares vor der nachts eindringenden Schlange mit dem dankbaren Toten; der Held folgt seinem Erretter in die Hölle und holt ihn ins Leben zurück.

Freilich die Versteinerung des treuen Dieners und ihre Aufhebung durch die Schlachtung eines Kindes, die uns bei den Türken,


  1. Auch im malaiischen Märchen (Bezemer 1904 S. 153) wird Klatin auf seinen Freund Klaton eifersüchtig, bis ihm dieser den Drachen zeigt, den er nachts neben seinem Ehebette enthauptet hat.
  2. Somadeva ed. Tawney 1, 519. 2, 251. Benfey 1, 414 f. Oesterley, Baitál Pachísí 1873 S. 44. 185. North indian notes and queries 3, 104 nr. 219 (1893). Vīravara tötet seinen eignen Sohn, weil er von der Schicksalsgöttin erfahren hat, daß nur so der König am Leben bleiben werde.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_055.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)