Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 205.jpg

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Mauß solte Wasser tragen, Feuer anmachen und Tisch decken; [928] die Bratwurst solte kochen. In solcher Ordnung haben sie sich dergestalt bey andern in Ansehen und Würden gesetzet, daß jhnen selbsten wol und nur gar all zu wol gewest bey disen dingen; dan wem zu wohl ist, den gelüstert immerzu nach was Neuerung. – Also eines Tags, als dem Vogel unterwegs einer aufgestossen, welchem er seine treffliche Gelegenheit erzehlet und gerühmet, hat ihn derselbe einen armen Tropffen gescholten, der grosse Arbeit, die andere beyde aber zu hauß gute tage hätten, und er solte es nicht mehr also leiden. Dan wan die Mauß jhr Feuer angemacht und Wasser getragen hatte, so begab sie sich in jhr Kämmerlein zur Ruhe, biß man sie hieße den Tisch decken. Die Wurst blieb beym Hafen, sahe zu, daß die Speise recht kochte; und wan es Essenszeit war, schlingte sie sich einmahl viere durch den Brey oder das Gemüs, so war es geschmaltzen, gesaltzen und bereitet. Kame dan der Vogel heim und legte seine bürde ab, so saßen sie zu Tisch und nach gehabtem Mahl schlieffen sie sich die haut voll biß den andern morgen. Das war ein herrlich leben, und sind wenig Bauren auf dem Westerwald, die es so gut haben. – Der Vogel anderen Tags wolte auß anstifftung nicht mehr ins holtz, sprechend, er wäre lang genug Knecht geweßt und hätte gleichsam jhr Narr seyn müssen, sie [929] solten einmahl umwechslen und es auf eine andere weise auch versuchen. Und wiewohl die Mauß hefftig dafür bate, auch die Bratwurst beförchtende, daß es je und allwegen ein zeichen untergangs geweßt, wan sich einer in seinem Stand nicht mehr benügen lassen, so war der Vogel doch meister, es mußte gewagt sein. Spieleten derowegan, und kam das Loß auf die Bratwurst, die mußte holtz tragen, die Mauß ward Koch, und der Vogel solte Wasser holen, Was geschieht? Die Bratwurst zog fort gen holtz, der Vogel machte das Feuer an, und erwarteten allein, biß Monsieur Bratwurst heim kam und holtz für den andern tag brachte. Es blieb aber die Wurst so lang unterwegen, daß jnen beiden nichts guts vorkam und jhro der Vogel ein stuck luffts hinauß entgegen floge. Unfern aber findet er einen hund am weg, der die arme Bratwurst da alß freye beut angetroffen, angepackt und nidergemacht. Der Vogel beschwert sich dessen alß eines offenbaren raubs sehr gegen dem hund; aber es halffe kein Wort. Dan, sprach der hund, er hätte falsche Brieff bey der Bratwurst gefunden, deßwegen sey sie jhm das Leben verfallen. Der Vogel traurig, nahm das holtz auf sich und heim und erzehlet, was er gesehen und gehöret. Sie waren sehr betrübt; doch damit jhr Stath desto besser erhalten wirde, verglichen sie sich, das beste zu thun und beysammen zu bleiben, wolten sich auch nach Essens fernerer anstellung vergleichen. Deßwegen so deckte der Vogel den Tisch, die Mauß rüstet das Essen und wolte anrichten und in den Hafen, wie zuvor die Bratwurst,

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_205.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)