Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 261.jpg

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Zwei weitere Fassungen, die den Brüdern Grimm vor 1822 aus andern Orten Niederhessens zukamen, heben an wie das Märchen vom Wasser des Lebens (nr. 97). Ein alter König wird krank, will seine Krone weggeben und weiß nicht, welchem von seinen drei (oder zwei) Söhnen. Endlich beschließt er, daß sie demjenigen zufallen soll, der einen Bären mit einem goldenen Schlößchen (oder ein Wildschwein) fangen kann. Der älteste zieht aus, bekommt ein Pferd, einen Kuchen und eine Flasche Wein mit auf den Weg. In dem Wald sitzt ein Männlein unter einem Baum, fragt freundlich ‘Wohinaus?’ und bittet um ein Stückchen Kuchen. Der Königssohn antwortet voll Hochmut, gibt ihm nichts und wird nun von dem Männlein verwünscht, daß er den Bären umsonst suchen soll. Er kehrt also unverrichteter Sache wieder heim. Der zweite wird ausgeschickt; es geht nicht besser. Nun kommt an den jüngsten, den Dümmling, die Reihe; er wird ausgelacht und erhält statt des Pferdes einen Stock, statt des Kuchens Brot, statt des Weins Wasser. In dem Wald redet auch ihn das Männlein an, er antwortet freundlich und teilt seine Speise mit ihm. Da gibt ihm das Männlein ein Seil, womit er den Bären auch fängt und ihn heimführt. – Die andere Erzählung sagt kurz, der zweite Sohn habe das Wildschwein erlegt. Der älteste Bruder sieht ihn kommen, geht ihm entgegen und ermordet ihn; das übrige stimmt überein. – Aus dem Waldeckischen bei Curtze S. 53 nr. 11 ‘Die drei Brüder’ (ein Fuchs hilft dem Jüngsten. Die Verse wie bei Grimm). – Eine Aargauer Erzählung hat Wackernagel, Zs. f. d. Altert. 3, 35 nr. 3 aus dem Wanderer in der Schweiz 1835 S. 200 abgedruckt = Colshorn nr. 71 = Rochholz, Schweizersagen 2, 126 nr. 353 = Sutermeister nr. 39 ‘s Todtebeindli’: ein Knabe und ein Mädchen werden in den Wald geschickt, eine Blume zu suchen; wer sie findet, soll das Königreich haben. Das Mädchen findet sie und schläft ein. Der Bruder kommt heran, tötet das schlafende, bedeckt es mit Erde und geht fort. Ein Hirtenknabe findet hernach ein Knöchlein, macht eine Flöte daraus, und das Knöchlein fängt an zu singen und berichtet, wie alles geschehen ist[1]. – Im siebenbürgischen Märchen bei Haltrich ⁴ nr. 43 ‘Der Rohrstengel’ wird der Jüngling, der mit einem Seidenfaden die Wildsau mit ihren


  1. Aus dieser und der Grimmschen Fassung scheint Bechstein, Neues deutsches Märchenbuch nr. 3 ‘Das klagende Lied’ geschöpft zu haben. Danach Martin Greif, Gedichte 1881 S. 153 ‘Das klagende Lied’.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_261.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)