Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/120

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

äußerlichen Ausdruck in der Schwesterntracht, die ein Gemisch von nonnenhafter Einfachheit und herausforderndem Raffinement ist. Das letztere ist freilich nicht von der Verwaltung des Roten Kreuzes vorgesehen worden, sondern ist von der Sestriza geschaffen, und zwar nicht ohne Genialität, denn man wird zugeben müssen, daß es nicht leicht ist, ein Waschkleidchen und ein Kopftüchlein raffiniert auszugestalten. Dennoch hat Sestriza solches trotz Worth und Paquin fertig bekommen; freilich würde ihr schöpferischer Geist kläglich Fiasko erleiden, wenn sie in die besagten, mehr als schlicht gedachten Kleidungsstücke nicht ihr überaus reizvolles, puscheliges Persönchen stecken könnte, das schließlich auch im Aschenputtelgewande zur Geltung gelangen und seiner Inhaberin, wenn auch nicht einen Märchenprinzen, so doch einen weniger hochgestellten, aber unbedingt annehmbaren jungen Rittersmann zuführen würde.

Sestriza wäre eben nicht eine rechte Tochter der Altmutter Eva, wenn sie nicht noch ein Übriges täte, wenn sie das züchtige Kopftüchlein nicht in ein beträchtliches Bettlaken verwandelte, es in malerischen Falten um das rosige Frätzchen schlänge und die Zipfel des allen Verordnungen zum Trotz aus kostbarem Stoff bestehenden Über-Tüchleins so recht sieghaft durch die Lüfte wehen ließe. Was nun das Waschkleidchen anlangt, so kommt hier nichts auf den einfachen Stoff, sondern alles auf den Schnitt an, der das, was ein guter Himmel an rundlicher Pracht der Sestriza mitgegeben hat, so recht zur Geltung kommen läßt. Aber das wesentliche Requisit sind doch die durchbrochenen, spinnwebfeinen Strümpfe und die eleganten Stöckelschuhe, auf denen die Sestriza nicht nur über den Asphalt der städtischen Trottoire dahinwippt, sondern die sie auch allem gesunden Menschenverstande zum Trotz im Felde und in den Hospitälern trägt.

In dieser lasterhaft-züchtigen Tracht steckt nun das besagte

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/120&oldid=- (Version vom 1.8.2018)