Seite:Gumppenberg Dichterross 0151.png

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nicht die Nebenbemerkung versagen, daß auch schon der Name von Faustens erotischem Objekt für jeden Einsichtsvollen in überraschender Weise demselben Zwecke dient; denn auch der Eigenname „Gretchen“ enthält diesen vorläufig zurückweisenden E-Laut zweimal, und zudem erfreut er durch die weitere Tiefgründigkeit, daß er klanglich dem Diminutivum von Gräte – ich meine die Fischgräte – ähnelt: also jenem Knochensurrogat der Wasserbewohner, das den Genußfreudigen zunächst durch stachlige Feindseligkeit abwehrt; man vergesse dabei nicht das Backfischalter Gretchens, und man vergleiche in diesem reizvollen Zusammenhang auch Goethes unsterbliches Gedicht „Heideröslein“, in dem es bekanntlich heißt:

„Röslein sprach: ich steche dich“,

und die mystisch geniale Notwendigkeit auch der Namengebung „Gretchen“ wird Ihnen allen unmittelbar einleuchten.

Viertens aber entsprach die Form „weder – weder“ dem dramatischen Augenblick auch im mimisch-plastischen Sinne für die Schauspielerin, der die Darstellung des Gretchen anvertraut ist. Es liegt in der Natur der schauspielerischen Wiedergabe jenes Moments der Ablehnung, daß Gretchen ihre Entgegnung, sie halte sich für kein Fräulein und auch nicht für schön, mit einem reizend schnippischen Kopfwerfen erst nach links und dann nach rechts begleitet. Für beide Kopfbewegungen aber muß nach dem künstlerischen Gesetz der Symmetrie selbstverständlich genau derselbe Zeitraum zur Verfügung stehen: und dies wiederum ist nur denkbar, wenn das zweite, den schnippischen Kopfwurf nach rechts einleitende Wort genau ebenso lang ist wie

Empfohlene Zitierweise:
Hanns von Gumppenberg: Das teutsche Dichterroß. Callwey Verlag, München 1929, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gumppenberg_Dichterross_0151.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)