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erklären, daß er an der langen Dauer meiner Haft keine Schuld trage.

Um 11 Uhr war ich auf freiem Fuße. Auf dem Wege zu meiner Wohnung übte ich mein Wahlrecht aus. In meiner Wohnung waren verschiedene Parteigenossen, natürlich auch Isak, die mich aufs herzlichste begrüßten. Am Abend brachte mir unser Parteigesangverein, dessen Gründer und Mitglied ich war, vor meiner Wohnung ein Ständchen, welchem eine kleine Begrüßungsfeier im Parteilokal folgte. Bei den Ansprachen, die gehalten wurden, bekam die ganze reaktionäre Gesellschaft ihr gerüttelt volles Maß Verachtung weg. Die Genossen gelobten feierlich, bei der roten Fahne auszuhalten, möge kommen was will.

Wenige Tage vor der Annahme des Sozialistengesetzes im Reichstage bekam ich einen Beschluß der hiesigen Rats- und Anklagekammer zugestellt, nach welchem das Verfahren gegen mich und Genossen, wegen Vergehen gegen § 130 und 131 des Strafgesetzbuches eingestellt und wir außer Verfolgung gesetzt wurden. Es lag also klar auf der Hand, das Flugblatt diente lediglich zum Vorwand, um mich im Wahlkampf auszuschalten, kaltzustellen.

Nach Erhalt des Einstellungsbeschlusses begab ich mich sofort zum Untersuchungsrichter und verlangte, gestützt auf das Preßgesetz, die Herausgabe der Flugblätter.

Diesem Verlangen wurde auch anstandslos stattgegeben, da man mit einer Verbreitung der Blätter wohl nicht mehr rechnete, sonst, dies bin ich fest überzeugt, die Herausgabe, selbst bei nochmaligem Rechtsbruch, verweigert worden wäre.

Empfohlene Zitierweise:
Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/49&oldid=- (Version vom 1.8.2018)